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Kultur: Musiktherapie

Rosenstolz feiern mit dem Album „Wir sind am Leben“ ihren 20. Geburtstag. Ein Besuch im Studio

Pünktlich zum 20. Geburtstag der Band veröffentlichen Rosenstolz eine neue Platte, es ist ihre zwölfte. Das wäre nicht weiter außergewöhnlich, mit über sechs Millionen verkauften Tonträgern gehören Anna R. und Peter Plate längst zum deutschen Musikestablishment, ihre Werke werden von den Fans geliebt und von der Kritik verrissen. Dennoch zieht das Jubiläumsalbum besondere Aufmerksamkeit auf sich. Denn es ist das erste musikalische Lebenszeichen des Berliner Duos seit Plates Zusammenbruch und Burnout-Bekenntnis. Konsequenterweise lautet der Titel der am Freitag erschienenen Platte „Wir sind am Leben“.

Der Zufall will es, dass der Fußballtrainer Ralf Rangnick gerade seinen gesundheitsbedingten Rückzug als Übungsleiter von Schalke 04 erklärt hat und die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel vor nicht allzu langer Zeit mit ihrem Buch „Briefe an mein Leben: Erfahrungen mit einem Burnout“ einen Bestseller landete. Der Erschöpfungszustand als Volkskrankheit: Das ist die dunkle Seite einer auf Erfolg getrimmten Gesellschaft. Rosenstolz liefern den Soundtrack dazu.

Plates Zusammenbruch erfolgte auf dem Höhepunkt seiner Karriere, im Januar 2009. Rosenstolz hatten das Album „Die Suche geht weiter“ veröffentlicht und waren auf Tournee. Sie füllten die großen Hallen, allein in Hamburg kamen 12 000 Zuschauer. Peter Plate sang „Irgendwo dazwischen“, da bekam er eine Panikattacke. Ihm wurde schlecht, er rang nach Atem. Der Musiker ließ sich hinter der Bühne ärztlich behandeln, mithilfe von Beruhigungsmitteln brachte er den Auftritt zu Ende. Einen Tag später zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück, der Rest der Tour wurde abgesagt.

An einem flimmernden Septembernachmittag sitzt das Duo nun in seinem Studio in Berlin-Kreuzberg. Peter Plate, 44, trägt ein kariertes Hemd, Jeans und Turnschuhe. Anna R., 41, ist ganz in schwarz gekleidet, unter einer Schiebermütze lächelt ein perfekt geschminktes Gesicht, um die linke Hand rankt sich eine Tätowierung. Auf dem Tisch Schnittchen und Kaffee. Plate versucht, sich locker zu geben, es gelingt ihm leidlich. Im Raum: Anspannung, Zigarettenrauch. Plate weiß, dass sich gleich die Aufmerksamkeit vor allem auf ihn richten wird, auf seinen Gemütszustand. Dass von ihm erwartet wird, Auskunft darüber zu geben, wie er sich fühlt, wie es ihm gelungen ist, Kraft für die neue Platte aufzubringen. Einmal Seelenstriptease, bitte.

Peter Plate sagt, für ihn sei das eine ungewohnte Situation. „Das Schöne an Rosenstolz ist, dass die Menschen immer sehr an unseren Texten und unserer Musik interessiert waren. Es gab eigentlich nie Rummel um uns. Aber auf einmal sitzt man da und erklärt sich.“ Er erzählt von der Routine, die sich in seinen beruflichen Alltag eingeschlichen hatte. Vom Liederkomponieren nach Zeitplan. Vom verloren gegangenen Spaß an der Musik. Vom Leben im Hamsterrad. „Ich hätte mir gewünscht, der Zusammenbruch wäre nach der Tour passiert und es hätte keiner mitbekommen“, sagt er.

Um Abstand zu gewinnen, zog Plate im Frühjahr 2009 nach London. Er lebte in einer Wohngemeinschaft mit einer Polin, einem Griechen und einem Waliser. Ein ganz normaler, einfacher WG-Alltag, der im kompletten Gegensatz zu seinem Dasein als Popstar stand. „Das tat mir gut“, sagt Plate im Rückblick. „Vielleicht musste ich etwas nachholen, was ich in meinen Zwanzigern versäumt hatte.“ Plate begann, neue Stücke zu komponieren, das Schreiben half ihm, über den Zusammenbruch hinwegzukommen.

Was beim Hören der neuen Platte auffällt, ist die Zuversicht, die in den Liedern mitschwingt. War das Vorgängeralbum „Die Suche geht weiter“ noch von Melancholie durchzogen, versuchen Rosenstolz nun, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Im Titelstück singt Anna R.: „Hast du alles probiert / Hast du alles versucht / Hast du alles getan / Wenn nicht, fang an / Hast du wirklich gelebt / Hat deine Welt sich wirklich gedreht / Hast du alles getan / Wenn nicht, fang an.“ Die Nummer beginnt mit sanften Pianoklängen, die allmählich lauter werden und schließlich in hochglanzpolierten, zuckrigen Schlagerpop münden, der typisch ist für Rosenstolz. In „E.N.E.R.G.I.E.“ singt Anna R. mit bebender Stimme: „Ich bleibe stark und ich weiß auch wie / Ich glaube an Energie.“ Die Lieder liefern leicht zugängliche Motivationsparolen für all diejenigen, die am Alltag leiden und gerade nicht den Kopf frei haben für inhaltliche Tiefe und lyrische Komplexität.

Das vielleicht persönlichste Lied der Platte trägt den Titel „Mein Leben im Aschenbecher“, Peter Plate stand dafür selbst am Mikrofon. Er resümiert: „Und ich kam meistens ans Ziel / Und nichts war mir zu viel / Ich stand als Erster im Ring / war der Letzte, der ging… / Mein Leben im Aschenbecher / Doch es wird langsam besser / Ich muss durch die Gosse geh’n / Um endlich Leben zu seh’n.“ Es ist die von eingängigen Synthierhythmen unterlegte Bilanz seiner 20-jährigen Karriere.

Man hätte anfangs erst mal nur Lieder eingespielt, ohne zu wissen, ob aus den Aufnahmen ein neues Album werde oder ob sie lediglich der Therapie dienten, erzählt Plate. „Wir haben uns ein Stück weit an der Nase herumgeführt, dadurch kam auch der Spaß wieder.“ Und Anna R. ergänzt, das Werk solle – natürlich! – in erster Linie ihnen selbst gefallen. „Wenn es Leute gibt, die es ebenfalls mögen und kaufen, um so besser. Wenn nicht, geht die Welt auch nicht unter.“

Wann das Duo wieder auf der Bühne stehen wird, lässt es bewusst offen. Anna R. erzählt von einem Ärzte-Konzert und wie sie von ihren Emotionen ergriffen wurde. „Es fühlte sich falsch an, unten im Publikum zu stehen.“ Plate sagt, dass es „natürlich kribbelt“, andererseits die Veranstaltungsorte fast ein Jahr im Voraus gebucht werden müssten. Diesem Druck wolle er sich „derzeit noch nicht aussetzen“.

„Wir sind am Leben“ ist bei Universal erschienen.

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