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Kultur: Musikzimmer: Luft raus lassen

Thurston Moore sagt, Dave Burrells "Echo" (Byg/Actuel, 1969) sei die absolut freieste, unglaublichste und gewaltigste freie Jazz- und Improvisationsplatte aller Zeiten. Ich habe sie jetzt bei e-bay ersteigert und kann ihm nicht ganz Unrecht geben.

Thurston Moore sagt, Dave Burrells "Echo" (Byg/Actuel, 1969) sei die absolut freieste, unglaublichste und gewaltigste freie Jazz- und Improvisationsplatte aller Zeiten. Ich habe sie jetzt bei e-bay ersteigert und kann ihm nicht ganz Unrecht geben.

Bislang hatte ich ja Alan Silvas Orchester-Triple-Album ("And The The Celestrial Communication Orchestra", ebenfalls aus der Byg/Actuel-Serie) für unschlagbar gehalten. Was Burrell mit seinem vergleichsweise kleinen Septett aufwiegelt, spielt aber auf ähnlichem Ekstaseniveau. Die zweite Seite ist komplett einmalig. Burrell klimpert in einem Stück namens "Peace" immer wieder nur eine C-Dur-Tonleiter. Totale Freiheit führt zu Stumpfsinn, scheint er sagen zu wollen, um sich genau diese philosophische Plattheit dadurch wieder zu verbieten, dass die Musik sich jeder literalistischen Interpretation durch ihr bizarres Gelingen verweigert. Todernst bleibend. Eben "as serious as your life", wie die britische Autorin und Fotografin Val Kilmer dieses Stadium des freien Jazz einmal genannt hat.

Moore ist Gitarrist bei Sonic Youth, einer nie alternden, aber trotz kommerzieller Erfolge ewig als alternativ gehandelten Rock-Band, die sich heute mit Teenagern immer noch genauso beschäftigt wie mittlerweile mit freiem Jazz und neuer Musik. Die als eine der wenigen für das Kontinuum bürgt, das den Begriff Pop überhaupt erträglich macht - als Ort, wo sich Teenager-Wahnsinn und Künstler-Extremismus begegnen könnten.

Auf "Echo" spielt auch der große Komponist, Saxophonist, Theatermann und Performer Archie Shepp, der sich seit fast zwanzig Jahren gegen die Zuschreibung wehrt, Free Jazz und seine freien Formen seien analog zur afroamerikanischen Radikalisierung zu lesen, als Übersetzung der Politiik ins Formale. Deswegen insistiert er seit Jahren darauf, Blues-Abende zu bestreiten, statt mit Leuten wie Burrell, mit dem er in den 70ern viel gemacht hat, aufs Ganze zu gehen. Besonders schön war der bluesige wie der freie Shepp im Dialog mit Posaunisten, vor allem Grachan Moncur III und Roswell Rudd waren seine idealen klangfarblichen Kontrapunkte. Mit beiden konnte er ideal zusammen und dennoch nebeneinander spielen. Grachan Moncur III! Was für ein Name! Man muss ihn immer wieder hinschreiben: Grachan Moncur III! Ich verfolge ihn seit seiner großen Zeit als Komponist für die avancierteren Blue-Note-Jazzer, schließlich Chef bei zwei Blue-Note-Alben von äußerster Eleganz und fast unerträglicher Stimmigkeit. Dann radikalisierte er sich, spielte mit Shepp und anderen Freien, wurde Panafrikanist. Seine Spur verlor sich für mich nach einer anderen sehr frühen, aber sehr ausgeschlafenen Begegnung mit brasilianischer Musik in den mittleren 70ern.

Moncur, Grachan Moncur III, ist jetzt auf einem neuen Album wieder mit Shepp zu hören. Auf "Live In New York" (Universal) lässt der Tenorsaxophonist mit dem crispesten Ton alte und neue Kompositionen Revue passieren. Und dabei bleibt er trotz einiger zorniger Ausflüge meist tonal gezähmt und wirkt gerade so sehr jugendlich. Der unvermeidliche Altmaoist Amiri Baraka erklärt in einem Gedicht zu Musik den alles umfassenden Blues-Zusammenhang dieser Session, obwohl sich Shepps Feier von "40 Jahren freier Musik"(Werbeaufkleber) gerade sehr eklektisch an allen möglichen Kontexten der Jazz-Geschichte versucht hat und Barakas Blues-Predigt zuweilen fast so klingt, als stamme sie von seinem ideologischen Erzfeind, den konservativen Neotraditionalisten um Wynton Marsalis. Eingeladen aber hat Roswell Rudd, so dass die Ergänzung des knisternden Shepp-Tenor durch die zwei Posaunisten wieder so perfekt klingt wie in revolutionären Tagen.

Rudd, der heute ein distinguierter und womöglich auch schon wieder emeritierter Professor ist und ebenfalls in den letzten Jahren nicht sehr oft auf neuen Platten zu hören war, scheint zur Zeit viel an einer angemessenen Aufarbeitung des Freien Jazz zu liegen. Vor kurzen kam sein Solo-Album "Broad Strokes" (Knitting Factory) heraus, das eine kühne Dialektik aus Rudds vibrierender Wildheit und einem hingebungsvollen Ausflug in die selbstgeschriebene und klassische Balladenliteratur entwirft. Rudds gerade neben Shepps oft nörgelnden, dann wieder feierlichen Ton immer sehr auffallender Hang, durch Verlangsamung und buchstäblichem Luftrauslassen paradoxe Steigerungen zu erzwingen, wird mit den unterschiedlichsten Musikern und Sängern in konstrastreichen Situationen durchgespielt. Für eine Adaption von Saint-Saëns dritter Symphonie hat er sich auch die kompletten Sonic Youth eingeladen. Thurston Moores Schraffuren gegen Rudds Stoptricks.

Am nächsten Freitag: Lutz Hachmeister.

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