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Kultur: Musikzimmer: Nochmal ein Hit, bitte!

Wie geht ein Hit? Der letzte Hit, den in meiner Umgebung jeder liebte, war Madonnas "Music".

Wie geht ein Hit? Der letzte Hit, den in meiner Umgebung jeder liebte, war Madonnas "Music". Davor hatte Cher einen. Doch die größten Hits der letzten zehn Jahre waren zweifellos für uns alle die Hits von Daft Punk, zuletzt "Around The World" mit dem Ballett-Video, das man noch manchmal im Fernsehen sieht. Und nur Daft Punk konnten auf die großartige Idee kommen, ihren nächsten Versuch eines Hits um genau die eben benannen Koordinaten herum anzulegen. Zur Erinnerung: Daft Punk waren die Franzosen, die das Prinzip maximaler Verdichtung in die zeitgenössische repetititve Tanzmusik einführten. Wie man weiß geht es bei solcher Musik immer um ein immanentes Hören. Man folgt nicht einer Melodie, die man dann das nächste Mal wiedererkennt, sondern man folgt einer Spur von Beat zu Beat. Die Eigenschaften der Beats waren neben rhythmischen vor allem solche der Erkennbarkeit, der Zugehörigkeit zu einem Sounddesign, einer ästhetischen Welt. Daft Punk aber schafften es, Pop-Geschichte auf die Beats zu schnallen. Auf jedem Schlag lagen Sounds und Signale aus Funk, Progressive und anderen Stilen, teilweise bis ins Detail rekonstruierbar.

Aber diese Elemente waren so maximal verdichtet, daß man sie nicht nacheinander, sondern in einem Beat simultan serviert bekam. Und wieder. Und wieder. "Around The World" fügte dem noch eine rammdösige Melodie hinzu, die einen in glückselige Geburtstagsparties für Dreijährige versetzt. Das kleine klaustrophobe Kinderspiel ersetzt das Prinzip der Wiederholung, statt im Rhythmus der Beats begegnen uns die maximal verdichteten Sound-Elemente nun in einem Ringelreihen. Und bei Kinderspielen setzt die neue Daft-Punk-Single ein: "One More Time". Das ist das selige "Nochmal!", das wir von Kleinkindern und Teletubbies kennen, nun aber aufgeblasen zur Grundregel einer hocherotischen Erwachsenenparty. "Celebrate!" Woher kennen wir das?

Von überall her, zuerst aber von Madonna, die diesen Party-Schlachtruf zu Beginn der nicht totzukriegenden Hedonismus-Hausse vor über 15 Jahren in "Holiday" ausgab. Der Feier-Imperativ kommt bei Daft Punk schon ziemlich erledigt über die elektronischen Lippen einer Vocoder-Stimme, aber nicht minder begeistert und entschlossen. All die hedonistischen Jahre haben ihre Spur hinterlassen, aber noch geht es, noch kann man einmal mehr schwer atmend ausrufen: "One More Time". 45jährige Glücksbärchi geben es sich noch einmal groovig. So wie die Vocoder-Stimme schon bei Cher mit künstlich verlängerter Jugend und ewiger Fitness assoziiert wurde, so steht sie auch hier für einen Übergang in einen langlebigeren zuverlässigeren Körper, der es noch viele Mal schafft, Nächte durchzugrooven.

Doch die hörbare Kurzatmigkeit der künstlichen Stimme, oder besser: die hörbare Kurzatmigkeit der echten körperlichen Stimme unter der Vocoderstimme erinnert uns daran, daß Verausgabung nur Spaß macht, wenn sie tatsächlich zur Erschöpfung führt. Auch und gerade der Moment, wo es nicht mehr geht, ist geil. Freilich muß man danach dann wieder rufen: "One More Time!", "Nochmal!" In der Zwischenzeit haben in der Nachfolge von Daft Punk diverse französische Acts Karriere gemacht: Etienne de Crecy, Benjamin Diamond, Super Discount und Motorbass, ja auch Air - sie alle haben davon profitiert, daß es Daft Punk so gut gelungen ist, ein französisches Prinzip der Pop-Musik zu etablieren, auch wenn die diversen Kollegen stilistisch zum Teil ganz andere Sachen machen. Gemeinsam mit Daft Punk ist ihnen allen, kein Geräusch, keinen Klang in einem Pop-Song nicht auf seine zeichenhafte Dimension abzuklopfen, immer auch jede Eindeutigkeit mitzunehmen, die man mitnehmen kann - und dann auf keinem Fall, damit zufrieden sein. Wer so genau weiß, daß es keinen Sound gibt und kein Soundelement, das man nicht zeichenhaft lesen kann und das irgendjemand auch so lesen wird, wird eben gerade nicht nur diese Dimension pflegen, sondern vor allem auch die andere. Nämlich die der Anordnung der Zeichen: und das ist dann die Musik. Denn wenn man weiß, daß man es auch bei Musik mit einem potentiellen Text zu tun hat, muß man alles gegen die Möglichkeit einer bloß linearen Lektüre tun.

Am Anfang haben Daft Punk die Funk-Geschichte zu kleinen Semio-Dumplings zusammengekocht und auf die Beats geschnallt, mittlerweile haben sie auch andere Methoden der Bedeutungsentfaltens und Bedeutungsverbergens drauf. Zum Beispiel eine Stimme, die wirklich simultan Rock-Opa und Cyborg-Schönheit ist, eine mit Transgender nicht genügend gut beschriebene Operation. Es geht ja nicht in erster Linie um Geschlechter, sondern darum beim Genießen Körper und Nichtkörper zugleich zu sein, reiner Sound und klares Zeichen. Niemand versteht davon so viel wie Daft Punk - das richtige Mischverhältnis macht aber aus, was man einen Hit nennt. Wenn man mehr damit meint als Verkaufszahlen.

Nächste Woche: Lutz Hachmeisters Fernsehzimme

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