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Kultur: Nach dem letzten Tanz

Trieb und Traum: Die Berliner Galerie Brusberg zeigt verstörende Puppen-„Spiele“ von Hans Bellmer

Den Galeristen Dieter Brusberg und den Künstler Hans Bellmer verbindet eine lange Geschichte. 1962 besuchte der Kunsthändler den 1902 in Schlesien geborenen, in den Dreißigerjahren nach Frankreich emigrierten Künstler das erste Mal. Bellmer lebte mit seiner Frau, der Dichterin und Künstlerin Unica Zürn, unter ärmsten Verhältnissen in einer winzigen Wohnung in Paris. Weltweite Anerkennung fand der Autodidakt erst in den Jahren darauf: nach einer Ausstellung bei Daniel Cordier in Paris und der von Wieland Schmied organisierten Retrospektive in der Kestnergesellschaft in Hannover 1967, aus deren Anlass Brusberg seinerzeit in Hannover Bücher und Druckgrafik ausstellte. In den Sechzigern war das noch ein Risiko, denn Bellmers fotografische, malerische und zeichnerische Umsetzungen von Trieb und Traum lösten immer auch Skandale aus.

Bis heute verstören seine Werke. Zu eindeutig sind Aquarelle und Zeichnungen, auf denen sich Körperöffnungen brutal weiten, kopflose Leiber verschmelzen oder zerfließen und sich die Grenzen zwischen männlich oder weiblich auflösen. Bei Bellmer ist zwischen Verführung und Verfall nur ein schmaler Grat. Die aktuelle Ausstellung bei Brusberg zeigt neben einer feinen Auswahl von Zeichnungen und Radierungen (Preise ab 3000 Euro) auch 15 Fotografien aus dem berühmten Buch „Les Jeux de la Poupée“ (50000 Euro), die ein deutsches Museum in der Ausstellung erworben hat. Im Zentrum steht, wie oft bei Bellmer, die „Puppe“, Kunstfigur und Fetisch zugleich – ein weiblicher Torso, der sich als Aluminiumguss aus dem Jahr 1965 ebenfalls in der Ausstellung wiederfindet (145000 Euro). Trotz ihrer ausufernden Formen erscheint die nur etwa 50 Zentimeter hohe Skulptur fragil und verletzbar. Der Betrachter spiegelt sich in den riesigen Brüsten, dem Kugelbauch und den kreisrunden Beinstümpfen und erkennt erst auf den zweiten Blick, dass es sich gar nicht um Brüste handelt, sondern um eine gespiegelte, zweite Scham mit angedeuteten Beinen, die den Kopf ersetzt.

In der fast giftig kolorierten Fotoserie „Les Jeux de la Poupée“, die zurzeit auch in der viel beachteten Ausstellung „Begierde im Blick“ in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt ist (bis 29. Mai), arrangiert Bellmer wuchernde Torsi mit Perücken und Masken im Atelier oder doppelbeinige Figuren im Wald, die von verborgenen Männern beobachtet werden. Es sind eindrucksvolle Bilder eines fragmentierten Menschen, die uns ungemein zeitgenössisch erscheinen. Sie rufen Assoziationen an die künstlichen Menschen eines Stephan von Huene hervor, vor allem aber an die düsteren Welten von Künstlern wie Cindy Sherman oder Tony Oursler, die immer auch Alter Egos zeigen.

Auf einem Selbstbildnis, einer Gouache aus dem Jahr 1942, wirkt die Haut des Künstlers, als wäre sie zerfressen, gefleckt wie die eines Reptils. Seine Augen aber sind hellwach und fordernd. Und gleichzeitig blitzt in ihnen die Angst auf des ewig Gejagten.

Galerie Brusberg, Kurfürstendamm 213, bis 28. Mai; Dienstag bis Freitag 10–18.30 Uhr, Sonnabend 10–14 Uhr.

Katrin Wittneven

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