zum Hauptinhalt
Ein digitaler Held. Der etzaktivist Aaron Swartz nahm sich das Leben. Im April sollte er vor Gericht gestellt werden.

© Reuters

Nach dem Selbstmord: Aaron Swartz - Märtyrer des Internets

Auch am dritten Tag nach Bekanntwerden des Selbstmordes des Hackers und Aktivisten Aaron Swartz quollen am Dienstag die Blogs über mit Bekundungen der Trauer, aber auch der Wut. Das Internet hat sich seinen ersten Märtyrer erschaffen.

Von Anna Sauerbrey

Das Netz will sich nicht beruhigen. Auch am dritten Tag nach Bekanntwerden des Selbstmordes des Hackers, Programmierers und Aktivisten Aaron Swartz quollen am Dienstag die Twitterkanäle und Blogs über mit Bekundungen der Trauer, aber auch der Wut. Der 26-Jährige war am vergangenen Freitag tot aufgefunden worden. Er hat Selbstmord begangen. Swartz litt an Depressionen, doch sein Tod wird auch in Zusammenhang gestellt mit einem Gerichtsverfahren gegen den US-Netzaktivisten, das im April hätte beginnen sollen. Swartz hatte 2010 die wissenschaftliche Datenbank „Jstor“ gehackt und 4,8 Millionen wissenschaftliche Artikel heruntergeladen – aus seiner Sicht ein Akt des Protestes gegen die Privatisierung des Wissens. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ein Millionendiebstahl, sie drohte ihm mit 35 Jahren Haft.

In diesen Tagen scheint das ganze Web eine Art großes Kondolenzbuch zu sein, in das sich die ganze Elite der Szene einträgt. Der „Erfinder des Internets“, der britische Informatiker Tim Berners Lee twitterte: „Hacker, einer der unseren ist gefallen.“ Der bekannte Vordenker freier Lizenzen, Lawrence Lessig, prangert das aus seiner Sicht absurde und unverhältnismäßige Verhalten der amerikanischen Justiz an und forderte Swartz’ Tod nicht zu „pathologisieren“, sondern ihn als Politikum zu verstehen. Der Aktivist Jacob Appelbaum schrieb, der Tod von Swartz sei „ein Verlust für die gesamte Menschheit.“ Auf Twitter heißt es, die Staatsanwälte seien „Gangster“, erste Verschwörungstheorien über die Rolle der Geheimdienste machen die Runde.

Nun könnte man abwinken und sagen, das Netz reagiere, wie es eben immer reagiert: hysterisch und massenhaft. Doch die heftige Reaktion ist nicht nur im Fall Swartz gegründet, sie ist Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit über das antiquierte amerikanische Urheberrecht, das aus Sicht vieler die Rechteinhaber zu einseitig schützt und die Innovationskraft der digitalen Revolution bremst. Und sie ist Ausdruck einer Art digitaler Sitzstreikdebatte, einer Debatte darüber, welche Protestformen im Netz legitim sind.

Der Fall Aaron Swartz verkörpert beides idealtypisch. Den genialischen jungen Hacker zu einer Art Robin Hood des Internetzeitalters zu stilisieren, zu einem Rächer der Entrechteten, liegt so nahe, dass es fast nicht mehr formuliert werden muss. Die Realität ist wie immer komplizierter, das Portal „Jstor“ ist eine Non-Profit-Organisation, die erst wenige Tage vor dem Tod von Swartz große Teile ihrer Archive für die Allgemeinheit geöffnet hat. Doch Swartz hat selbst den Grundstein seines eigenen Denkmals gelegt. Es sei an der Zeit sich zu wehren, schrieb er 2008 in seinem „Guerilla-Manifest“, es gelte, „das Wissen zu befreien“. Es liege keine Gerechtigkeit darin, ungerechte Gesetze zu befolgen. Der Hackerszene liegt diese Einstellung sehr nahe. Ihre Kultur ist anarchisch. Schon Ikonen der 60er Jahre wie der Telefonhacker John T. Draper bekamen Ärger mit dem FBI und saßen in Haft.

Dem neuen Jahrtausend aber fehlte bislang eine echte Ikone. Julian Assange, der sich zuerst anschickte, ein Held des neuen Zeitalters zu werden, hat sich durch die Rücksichtslosigkeit gegenüber seinen Quellen, seine Arroganz und sein selbstherrliches Auftreten disqualifiziert, dem inhaftierten Whistleblower Bradley Manning fehlt das Charisma. Aaron Swartz aber konnte begeistern und polarisieren, er konnte programmieren und organisieren. Er hat das Zeug, der erste Netzmärtyrer des neuen Jahrtausends zu werden.

Zur Startseite