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Kultur: Nach der Vertrauensfrage: Neu verliebt

Franz Müntefering muss sich gelangweilt haben. Diese Bundestagsdebatte, in der es ja nicht nur um den möglichen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, sondern auch um das Vertrauen für den Kanzler und die Zukunft der Regierungspartei SPD ging, hat ihr Generalsekretär höchst gelassen verfolgt.

Franz Müntefering muss sich gelangweilt haben. Diese Bundestagsdebatte, in der es ja nicht nur um den möglichen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, sondern auch um das Vertrauen für den Kanzler und die Zukunft der Regierungspartei SPD ging, hat ihr Generalsekretär höchst gelassen verfolgt. Zeitung lesen fand Müntefering an diesem Freitag spannender. Da saß er in der vorletzten Reihe seiner Fraktion, versunken in diverse Blätter, so als sei alles überstanden für seine Partei, die Zukunft gesichert.

In der Tat wächst nach überstandener Krise am Freitag ein neues Wir-Gefühl in der SPD heran. Auch in Bezug auf Rot-Grün. Die Episode "Koalition in Gefahr" ist in der eigenen Wahrnehmung bereits Geschichte. Die Fraktionsmatadore der SPD hatten in den Tagen zuvor harte Arbeit geleistet und einen vermeintlichen Abweichler nach dem anderen umgebogen. "Stoisch, fair und aggressionsfrei" sei das geschehen, ganz anders als noch vor der Mazedonien-Abstimmung, bekunden selbst die Bekehrten. Die SPD ist geschlossen, sie wird es auch bleiben - so das offizielle Signal dieses dann doch nicht so historischen Tages.

Das konnte man schon der demonstrativen Applaudierfreude der Genossen entnehmen. Bereits der erste Satz aus des Kanzlers Rede - eine sachliche Einschätzung zur Lage in Afghanistan - wurde mit kräftigem Beifall bedacht. Schröders Taktik, mit der Frage nach dem Vertrauen die Fraktion zusammenzuschweißen, ist aufgegangen. Noch nie wurde so pathetisch für die Regierung Schröder, für das rot-grüne Projekt geworben wie in dieser spannungsreichen Woche. Über Sätze wie jenen von Friedrich Merz, jetzt stehe die Regierung am Abgrund, lachen Rote und Grüne am Freitag gemeinsam. Und laut.

"Das ist jetzt wie die Erneuerung der Liebe nach einer Beziehungskrise", sagt SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler. Und: Manchmal müsse man erst gemeinsam am Abgrund stehen, um zu erkennen, was man aneinander habe. Die SPD steht also hinter Rot-Grün und dem Kanzler. Auch am Verhältnis Schröders zur eigenen Partei soll sich in der Kriegskrise einiges geändert haben. "Jetzt ist er wirklich unser Parteivorsitzender, auch emotional", sagt Stiegler, der den Kanzler in seinen Gesprächen mit der Fraktion ebenso verwundert wie erfreut beobachtet hat. Schröder habe immer wieder seinen Stolz auf Fraktion und Partei bekundet. Und sich demonstrativ in die Tradition der alten Dame SPD gestellt, etwa mit dem Hinweis auf die Weimarer Republik, als es der SPD an Machtbewußtsein gefehlt habe - ein Fehler, der sich heute nicht wiederholen dürfe.

Das neue Gefühl der Geschlossenheit müsse sich ab Montag auch auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg verbreiten, fordern Schröders Leute. Allerdings könnte es dort die Fortsetzung der Diskussion über Sinn und Unsinn einer militärischen Beteiligung am Kampf gegen den internationalen Terror geben. Eine Diskussion, die dann offener geführt werden dürfte, als in den vergangenen Tagen des Fraktionszwanges. Die Außen- und Sicherheitspolitik steht auf der Parteitagsagenda. Anträge, in denen der Militäreinsatz verurteilt wird, liegen auch bei der SPD vor.

"An die Arbeit", rief Schröder den Abgeordneten seiner Koalition am Freitag zum Abschied hinterher. Die Stärkung aus dieser Woche wird Schröder für den Rest der Legislaturperiode brauchen. Denn dort warten genügend Hürden, welche die einst sicher geglaubte Wiederwahl noch gefährden könnten. Die von Finanzminister Eichel betriebene Haushaltskonsolidierung gerät angesichts von düsteren Konjunkturprognosen immer stärker ins Wackeln. Die Zahl der Arbeitslosen bewegt sich eher auf die vier Millionen zu statt auf 3,5 Millionen, jener Zahlenhürde, an der sich Schröder bekanntlich messen lassen wollte. Das Großprojekt einer Fusion von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wurde schon einmal auf die nächste Legislaturperiode vertagt. Aus Angst vor den mächtigen Interessengruppen. Dankbare Angriffsflächen für die Opposition sind das. Wie die Regierung Schröder mit diesen Problemen fertig wird, kann Franz Müntefering ja in der Zeitung nachlesen.

Markus Feldenkirchen

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