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Idyll oder Einöde? Um das Leben in der ostdeutschen Provinz geht es in Kerstin Preiwuß' "Nach Onkalo". Hier der Zierker See in der Mecklenburger Seenlandschaft.

© Kitty Kleist-Heinrich

"Nach Onkalo" von Kerstin Preiwuß: Warten, ob das Wetter umschlägt

Leben in der ostdeutschen Provinz: Kerstin Preiwuß erzählt in ihrem zweiten Roman „Nach Onkalo“ von einer Gegend voller Widersprüche.

Der Regen in der Luft. Der Wind, der über die Landschaft geht. Manchmal muss man sich nur rausstellen und auf sein Gefühl konzentrieren. Gerade mit den Wolken passiert viel. Nicht von ungefähr ist Matuschek bis zu seiner Entlassung Wetterbeobachter an einem Flughafen: „Jede Stunde mach ich ein Wetter. Luftdruck, Wolkenbildung, Niederschlag, Temperatur, Taupunkt, und dann ab damit zum Tower. Und das acht Stunden lang, immer gucken, ob sich was ändert.“

Kerstin Preiwuß begibt sich in ihrem zweiten Roman mitten hinein in die ostdeutsche Provinz. Wie schon in ihrem Prosadebüt „Restwärme“ durchstreift sie gemeinsam mit ihren Figuren die Ränder der mecklenburgischen Seenlandschaft, ein Terrain, das trostloser kaum sein könnte. Das Krankenhaus ist schon lange geschlossen, die Polizeistation ebenso, bald, befürchten die übrig gebliebenen Bewohner, fährt auch der Schulbus nicht mehr. „Dafür nehmen nach jedem Winter die Schlaglöcher zu. Die Schlaglöcher vermehren sich wie die Karnickel.“ Trotzdem entwirft Kerstin Preiwuß keinen Abgesang auf einen abgewickelten Osten. Eher zeigt sie eine Gegend voller Widersprüche – und sie zeigt die Menschen, die allesamt versehrt sind, aber auch einen Rest von Renitenz in sich tragen.

Feines Gespür für die atmosphärischen Schwingungen der Gegend

Matuschek ist hier groß geworden. Die Wende hat er als Jugendlicher miterlebt, alles, was folgte, ohnehin. Provinz hat für Preiwuß immer auch mit Ratlosigkeit und Ohnmacht zu tun. Um wie viel mehr noch bei Matuschek, der gerade seine Mutter verloren hat. Vielleicht ist ihm so das letzte Fünkchen Ordnung und Orientierung abhanden gekommen. Nicht die schlechteste Fügung, dass es Igor gibt, den russischen Nachbarn, der sich nun um Matuschek kümmert. Und Igor kennt Irina, mit der Matuschek eine Liaison beginnt. Aber die Beziehungen halten nicht, zu tief sitzen die Unsicherheiten, die unausgesprochenen Ängste und Zweifel. Dazu verliert Matuschek auch noch seine Arbeit. Als irgendwann Lewandowski in Igors Haus einzieht, der aalglatte Glatzkopf mit dem Raptorengesicht, der nur auf den eigenen Vorteil aus ist, stürzt Matuschek vollends ab.

Wie kann man von einer solchen Figur erzählen, wie holt man sie in die Sprache und zeichnet ihre Welt? Kerstin Preiwuß, 1980 in einer Kleinstadt im Südwesten von Mecklenburg-Vorpommern geboren, schmiegt sich geschickt an die Sichtweise Matuscheks an, spielt mit Dialogen und Dialektresten. Doch so nah sie immer wieder an die Gedanken und Gefühle Matuscheks heranrückt, bleibt sie nicht an ihrer Figur haften. Was in „Restwärme“ die Metaphorik der Plattentektonik und der Gesteinsschichten war, ist nun die Bildwelt des Wetters. Mit seiner Hauptfigur entwickelt das Buch ein feines Gespür für die atmosphärischen Schwingungen der Gegend, für die Brüche und das Brachliegen der Landschaft, auch für das Gefühl der Menschen dort, einfach abgehängt worden zu sein.

Von den Rändern mecklenburgischer Seen erzählt Kerstin Preiwuß.
Von den Rändern mecklenburgischer Seen erzählt Kerstin Preiwuß.

© Jorinde Gersina

Dabei könnte Matuschek gar nicht sagen, wie er das mit dem Wettermachen eigentlich anstellt. Und auch das Buch schiebt sich nicht mit aufdringlichen Diagnosen nach vorne, sondern gewinnt seine Wahrnehmungskraft aus der Dichte seiner Szenen und Sätze. Im Grunde verhält es sich so ähnlich wie bei den Tauben, die Matuschek seit seiner Jugend züchtet, wendige, luftige Wesen, die fast immer wieder zurück in den Schlag finden: „Man weiß ja gar nicht so richtig, wie die das machen und wo das Organ liegt, das sie leitet.“

Eine geschickt gesetzte Offenheit bestimmt den Bau des Romans, die in ihrer Schlichtheit manchmal an Kerstin Preiwuß’ Gedichte erinnert. Der größte Reiz dieses Buches aber liegt in seinen vielen versteckten Schichten. Über die Biografien von Igor und Irina zieht Kerstin Preiwuß festere historische Spuren in den Roman ein. Es sind Menschen, für die das Ende des totalitären Systems keineswegs die versprochene und erhoffte Freiheit gebracht hat.

Ein im besten Sinne eigenes Ende

Daneben gibt es den alten Witt, der einst im Atomkraftwerk Lubmin bei Greifswald arbeitete, einem der wenigen DDR-Reaktoren. In dieser Erzählschicht ist auch der Titel des Romans verortet, Verweis auf das finnische Atommüll-Endlager Onkalo. So, wie das Kraftwerk Lubmin vor mehr als 20 Jahren stillgelegt wurde und seither rückgebaut wird, hat man auch Witt entlassen, um nicht zu sagen: abgewrackt. Inzwischen hat er einen Bunker unter seinem Haus angelegt und hortet dort Vorräte. Ein Prepper, einer, der sich auf ein Leben nach der Zivilisation vorbereitet. Zuletzt hat Juan S. Guse in seinem Roman „Lärm und Wälder“ eine solche Figur skizziert. Kerstin Preiwuß indes schenkt ihrem Sonderling einen Abgang ganz eigener Art.

Eigen im besten Sinne ist auch das Ende des Romans. Es sei hier nicht verraten. Nur so viel: Auf verquere Weise tritt Matuschek das Erbe des alten Witt an. Schutt schieben, Reste abbauen, immer im Rhythmus der Baggerschaufel. „Besser, jeder macht sein Ding. Es geht auch so weiter. Ihm sagt niemand mehr, was er machen soll. Macht er jetzt alles selbst.“

Kerstin Preiwuß: Nach Onkalo. Roman. Berlin Verlag, Berlin 2017. 230 Seiten, 20 €.

Nico Bleutge

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