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Kultur: Nach zwölf erfolgreichen Jahren gibt der Leiter des Deutschen Historischen Museums Berlin sein Amt auf

Der Abgang überrascht. Doch nur auf den ersten Blick - Längst ist der Museumsmann zugleich ein EntertainerBernhard Schulz Eine Amtszeit geht zu Ende.

Der Abgang überrascht. Doch nur auf den ersten Blick - Längst ist der Museumsmann zugleich ein EntertainerBernhard Schulz

Eine Amtszeit geht zu Ende. Zwölf Jahre lang hat Christoph Stölzl das Deutsche Historische Museum (DHM) geleitet. Das heißt: die gesamten zwölf Jahre lang, die das Museum überhaupt existiert. Deren Bilanz will Stölzl in wenigen Tagen ziehen. Der gebürtige Bayer stand Pate am Beginn dieser Einrichtung, er hat sie zu einer selbstverständlichen Größe des Berliner Kulturbetriebs gemacht, und nun verlässt er sie in einem unerwarteten Moment.

Der angekündigte Wechsel des Direktors in den Journalistenberuf - Stölzl leitet vom 1. Dezember an das Feuilleton der "Welt" - hat gehörige Wellen geschlagen. Doch nicht Glückwünsche erreichten den 55-jährigen Berufswechsler, sondern Skepsis und Kopfschütteln. Den festen Boden eines anerkannten Museums einzutauschen gegen den schwankenden Grund des Mediengeschäfts, will als strategische Berufsplanung nicht überzeugen. Doch Unruhe und Umtriebigkeit, die sich darin ausdrücken, lenken den Blick auf Stölzls Leistung an der Spitze einer ungewöhnlichen Institution.

Skepsis begleitete das DHM als Institution von Anbeginn an. Die Bedenkenträger der Republik vereinigten sich, um ihr Scheitern voraus zu sagen. Die konservative Geschichtswissenschaft argwöhnte mit Blick auf Stölzls Zeit als ideenreicher Leiter des Münchner Stadtmuseums, es fehle ihm am nötigen getragenen Ernst; die intellektuellen Wortführer der Republik wiederum sahen in den Museumsplänen nichts als eine deutschtümelnde Bewußtseinsfabrik nach Gusto Bundeskanzler Helmut Kohls. Den Pragmatikern der Museumsszene schließlich schien der Neuaufbau einer aussagefähigen Sammlung authentischer Geschichtszeugnisse unmöglich zu sein.

Mit seinem im damaligen West-Berlin gänzlich ungewohnten süddeutschen Charme, in den er seinen weitgespannten geistigen Horizont elegant einhüllte, verstand es Stölzl, die gebetsmühlenartig wiederholten Anwürfe zumal der Anti-Kohl-Fronde ins Leere laufen zu lassen. Den wütenden Anwürfen derer, die an Stelle des jede intellektuelle Debatte ausschlagenden Kohl ihren Gegner im DHM glaubten gefunden zu haben, begegnete Stölzl mit entwaffenender Gesprächsbereitschaft. Aus einem Hinterhofbüro heraus, wenn auch mit bemerkenswertem Etat ausgerüstet, machten sich Stölzl und seine in den Pionierjahren hochmotivierte Mannschaft auf den steinigen Weg, eine Sammlung aufzubauen und zugleich mit Ausstellungen auf sich aufmerksam zu machen.

Diesen Weg haben Stölzl und die Seinen mit Bravour gemeistert. Im Bereich der Ausstellungen stand die Kompetenz des Erfolg gewohnten Münchner Stadtmuseumsleiters außer Frage. Bereits der Berliner Erstling, "1.9.39" zum 50. Jahrestag des Kriegsbeginns, war mit sparsamen Mitteln ein Muster aufklärerischer Inszenierung. Später schwollen die Möglichkeiten an. Mit der Bismarck-Ausstellung kam das DHM durch den Glücksfall der Welthistorie zum treffendsten Zeitpunkt - dem der deutschen Wiedervereinigung von 1990. Walther Rathenau war eine weitere Ausstellung ad personam gewidmet, die eine Epoche in Gestalt eines ihrer herausragenden Protagonisten sichtbar machte.

Stölzl ist ein Mann der Bilder, der Übersetzung von Sachverhalten in Schlaglichter. Die Macht der Geschichte spricht für ihn nicht aus nüchternen Erklärungen, sondern aus den Bildern, die die Nachwelt sich von ihr zurechtlegt. Bevorzugt auf die Kunst als Medium kollektiver Wahrnehmung zurückzugreifen, machte die Stärke, auch die Suggestionskraft der DHM-Ausstellungen aus.

Daneben galt es, die Sammlung von Realien, von authentischen Zeugnissen der Geschichte aufzubauen. Da waren Stölzls Erwerbungsspezialisten um ein Vielfaches erfolgreicher, als Skeptiker je einräumen mochten. Der Sammlungskatalog von 1995 musste bald schon zu einem zweibändigen Wälzer erweitert werden. Die Präsentation im Zeughaus ließ ahnen, wie sich die Dauerausstellung nach der durchgreifenden Restaurierung des Hauses einmal darbieten sollte. Keine Hochglanzillustration, sondern die Bruchstellen deutscher Geschichte, stehen im Mittelpunkt der Darstellung des Museums.

Unerwarteter Erbfall

Eine solche Bruchstelle hat dem DHM selbst eine andere Richtung gegeben. Ursprünglich sollte die 1987 durch Helmut Kohl und Eberhard Diepgen im Reichstag feierlich begründete Institution einen Neubau im Spreebogen erhalten. Der Wettbewerb war durchgeführt, Aldo Rossi als Architekt gewonnen, sogar ein symbolischer Grundstein gelegt - da brach die DDR zusammen und mit ihr die deutsche Teilung. In einem Handstreich der letzten DDR-Regierung wurde das Ost-Berliner "Museum für deutsche Geschichte" samt seinem Domizil im Zeughaus Unter den Linden der West-Neugründung überschrieben - und Stölzl Hausherr einer Einrichtung, die in jeder Hinsicht die Antithese seiner eigenen Vision darstellte. Damit begann die pragmatische Phase des Hauses. Jetzt hieß es umplanen und umbauen. Stölzl verwandelte das Ehrfurcht gebietende Zeughaus, und sei es mit Weihnachtsbaum und Jazz-Abenden, in ein im besten Sinne öffentliches Haus - und überspielte, was es an ausgefeilter Geschichtsvermittlung noch nicht bieten kann.

Die Alimentierung allein aus Bundesmitteln machte Wünsche möglich, die andere Institutionen nur mit Neid verfolgen konnten, wie den nach einem Erweiterungsbau für Wechselausstellungen. Dafür konnte der amerikanische Altmeister I.M.Pei auf Wunsch von Kohl per Direktauftrag gewonnen werden. Nicht weniger als 450 Millionen Mark bewilligte die CDU-Mehrheit im Bundestag für die gesamten Um- und Neubaumaßnahmen des DHM.

Dafür geriet Stölzl mehr und mehr in den Sog der Kohlschen Regierungsmaschine. Für seinen Kanzler organisierte er die Umgestaltung der Neuen Wache, die 1993 eine breite Diskussion über Gedenken angesichts der jüngeren deutschen Vergangenheit auslöste. Hellwache Umsicht, aber nicht weniger der politische Ehrgeiz des DHM-Direktors ließen ihn allerorten als Berater mittun, wo es Entscheidungen zumindest zu beeinflussen galt. Im "Rat für die Künste", zu dem sich die Majorität der Berliner Kultureinrichtungen zusammen fand, nahm er bald die Fäden in der Hand, und natürlich sitzt er im Bund-Berlin-Beirat für die Verteilung der Hauptstadtkulturmittel. Dass er sich einmal der Berliner FDP andiente, wurde als Fehlentscheidung abgehakt. Allerdings wurde auch die zur Abgeordnetenhauswahl von 1995 bekundete oder jedenfalls nicht dementierte Bereitschaft, als CDU-Kandidat Berliner Kultursenator zu werden, nicht erhört.

Die Niederlage

Die Berliner Gesellschaft bot sich Stölzl bald als ideales Spielfeld dar. Tausenderlei Anlässe sahen ihn als viel begehrten Entertainer des Kulturbetriebs. Es ist eine kennzeichnende Pointe, dass er als Kultur-Berater der kommenden Expo dem verstorbenen August Everding folgte. Wie dieser rhetorisch brillant und stets druckreif formulierend, fiel ihm die Rolle des geistvollen Unterhalters zu - so sehr, dass er selbst nicht immer zu unterscheiden vermochte, wo die Rolle seinem Amt diente oder das Amt nur noch dem Entertainment. Stölzls Allgegenwart auf dem gesellschaftlichen Parkett, anfangs zur Befestigung des um Wohlwollen ringenden DHM eingesetzt, geriet in die Nähe einer Betriebsamkeit um jeden Preis.

Schließlich kam die bitterste Episode seines Berliner Jahrdutzends. Früh schon als Kandidat für das Präsidentenamt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehandelt, wurde er von Kohl und dessen Apparat offiziell nominiert - um auf den steinharten Widerstand seitens der Mehrzahl der Bundesländer zu stoßen. Als nach der von Rot-Grün gewonnenen Bundestagswahl der Weg für den SPD-nominierten Gegenkandidaten frei wurde, empfand Stölzl diese vorgezeichnete Niederlage als persönliche Kränkung. Das eben noch zur Disposition gestellte Amt als Direktor des DHM schien ihm fortan verleidet. Aus dem Hause drang Lustlosigkeit.

Die abrupte Aufgabe des Direktorenpostens trifft das DHM gänzlich unvorbereitet. An mögliche Nachfolger ist nie gedacht worden. Das Stölzlsche Temperament wird keine Stellenausschreibung einfordern können. Der job-hopper seinerseits wird erkennen müssen, dass er seine Wirkung nicht zuletzt der Tatsache verdankte, ein vorderhand steifseriöses Amt mit ganz unerwarteter Leichtigkeit, mit Geist und Witz ausgefüllt zu haben. Den Kulturpolitikern in Bund und Berlin aber kommt die Aufgabe zu, sich um das DHM und seine Zukunft sehr ernsthaft zu kümmern. So angenehm wie Stölzl wird es ihnen kein Zweiter machen.

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