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Mimischer Minimalist. Peter Fitz. Foto: dapd

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Kultur: Nachbar Nathan für alle

Dem Schauspieler Peter Fitz zum 80.

Waren es 100 oder gar über 150 Male, die der Schauspieler Peter Fitz am Berliner Ensemble im vergangenen Jahrzehnt den weisen Juden Nathan gespielt hat? Claus Peymann hatte das Versöhnungsstück der drei nahöstlichen Weltreligionen Anfang 2002 herausgebracht, nach den Anschlägen des 11. September. Es wurde ein kaum zu verhindernder Erfolg, ein Renner im Repertoire. Aber Peter Fitz bediente darin von Anfang an nichts melodramatisch Anrührendes und machte aus Lessings Titelhelden auch kein marmormenschliches Denkmal der Güte, Nächstenliebe oder des als Weisheit getarnten Besserwissens. Er stellte vielmehr einen grundvernünftigen, eher spröden Allerweltsfamilienvater und Kaufmann von Jerusalem dar. Einen Nachbarn Nathan. Selbst die berühmte Ringparabel erzählte er nicht als philosophisches Lehrstück aus höherer orientalisch-biblischer Eingebung. Es war nur: eine Probe auf die zum Überleben notwendige Alltagsvernunft.

Dieses gänzlich Unverschwitzte, Unpathetische ist Peter Fitz vor allem eigen. Wenige Spieler disponieren so klug ihre Mittel, teilen ihren durchaus verfügbaren gestischen Reichtum so ökonomisch brillant ein und mit. Kein Wunder, dass ihn ein Regisseur wie Klaus Michael Grüber besonders schätzte. Er wusste, dass Fitz auch eine Miniatur monumental machen kann, durch stoische Haltung und Understatement. Also war Fitz im legendärem „Faust“, den Grüber 1982 zu Goethes 150. Todestag an der West-Berliner Freien Volksbühne mit Bernhard Minetti in der Titelrolle auf drei Darsteller verdichtet hatte, der Mephisto. Und spielte die Magie des Teufels als menschlicher Schatten. In Sekundenauftritten buchstäblich ein Geist. Ein Phantom (und Phänomen) des Welttheaters.

Trotzdem kann Fitz auch ganz anders. Er kann eine exzessive Komik mit einem Minimum an Mimik hervorrufen, mit ein paar präzise akrobatischen Gebärden und einem hochmusikalischen Sinn für Rhythmus, Betonungen, kalkulierte Pausen, für kurze Anfälle von Stakkato. So trieb er in Ernst Jandls „Aus der Fremde“ (einer „Sprechoper“) an der Berliner Schaubühne die Gestalt eines verschrobenen Schriftstellers, der alles nur im Konjunktiv spricht, einst in eine genialische Groteske. Die Exaltiertheit des Kopfes übersetzte sich in ein Ballett der tänzelnden Glieder, des hahnhaften, wahnhaften Halsruckelns, des Kiefermahlens, Kinnspitzens – das war von einer geradezu frenetischen Komik. Als hätte er die Lakonie eines Buster Keaton (dem er manchmal ähnlich sah) in einer kontrollierten Explosion zum Bersten gebracht und in schiere Komödiantik verwandelt.

Peter Fitz hat bei Peter Stein Kleist-Offiziere, Shakespeare-Politiker, Botho- Strauß’sche Kunstmanager und zuletzt im vielstündigen „Wallenstein“ den großen Gegenspieler Piccolomini (als noblen Intriganten) gegeben. Am Wiener Burgtheater war er bei Cesare Lievi ein geistesblitzender Diplomat Antonio im „Torquato Tasso“, in Benjamin Korns Münchner „Woyzeck“ entdeckte er in Büchners Proletarier auch den Poeten und Philosophen, dazu spielte Fitz bei Peter Zadek und Robert Wilson. Im Kino sah man ihn in Filmen von Louis Malle und Chabrol, von Hans-Christoph Blumenberg, Armin Müller-Stahl oder in Béla Tarrs mystischen „Werckmeisterschen Harmonien“. Sogar in den nicht so tollen TV-Versionen der Donna-Leon- Krimis veredelt er im Café Florian auf dem Markusplatz von Mal zu Mahl unser Fernsehvenedig. An diesem Montag wird er nun 80 Jahre alt. Peter von Becker

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