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Kultur: Nachdenken über einen guten Vorsatz

"Gut ist der Vorsatz, aber die Erfüllung schwer" heißt es bei Goethe; die Anregung des künftigen Staatsministers Naumann, Berlins Kulturlandschaft durch ein "Jüdisches Theater" reicher zu machen, versteht sich als solch guter Vorsatz.Aber ist er erfüllbar?

"Gut ist der Vorsatz, aber die Erfüllung schwer" heißt es bei Goethe; die Anregung des künftigen Staatsministers Naumann, Berlins Kulturlandschaft durch ein "Jüdisches Theater" reicher zu machen, versteht sich als solch guter Vorsatz.Aber ist er erfüllbar? Wer sollte dieses Theater tragen, wer in ihm spielen? Welche - jüdische, deutsche, internationale - Dramatik müßte in ihm die besondere Heimat haben? Und an welches Publikum richtet es sich? Jüdische Literatur gültig zu definieren, ist ein schwieriges Unterfangen.Aber aus dieser Literatur müßte sich doch ein jüdisches Theater in erster Linie speisen.Bruno Landthaler-Liss, Spezialist für hebräische Literatur, schreibt, daß diese Definition am ehesten gelingt, "wenn sich die Juden in einer ihnen eigenen Sprache in einem abgegrenzten geographischen Raum äußern, kurz, wenn die Juden eine Nationalliteratur schaffen".In der Geschichte des Judentums ist dies nach seinen Darlegungen zweimal zum Ereignis geworden - in Gestalt der hebräischen Bibel im altorientalischen Staatengebilde Israel und Juda und in Form der hebräisch-israelischen Literatur in Israel seit 1948.Jüdisches Theater hätte also in dieser hebräisch gedichteten Literatur, besonders der in Israel entstandenen, eine wichtige Quelle.Zweite Quelle wäre die jiddische Literatur, unter der man "die Gesamtheit des in judendeutscher beziehungsweise jiddischer Sprache verfaßten fiktionalen und nichtfiktionalen Schriftguts der aschkenasischen Juden" (Otto F.Best) versteht.Das älteste jiddische Sprachdenkmal stammt aus dem 11.Jahrhundert.Was nun Theater angeht, das sich jüdischer Dichtung und Überlieferung bedient, dann ist es bei uns vorwiegend aus dieser Quelle bekannt geworden, vor allem durch Gastspiele des Warschauer Theaters der Ida Kaminska in Ost-Berlin während der 70er, 80er Jahre.

Die Prinzipalin dieses Staatlichen Jüdischen Theaters, die ich noch kennenlernen konnte, hatte viel Ähnlichkeit mit Helene Weigel.Sie war klein, von sprühender Vitalität und einer Herzlichkeit, die sie über die furchtbaren Ereignisse des Holocaust mit spürbarer Anstrengung gerettet hatte.Theater war ihre Familie, ihre Familie das Theater.Es wurden neben jiddischen Texten auch internationale Klassiker gespielt.Immer aber herrschte im Warschauer Haus eine eigentümliche Stimmung zwischen Trauer und Zuversicht.Da wurde Theater gemacht für ein Publikum, das Jiddisch nicht verstand (es gab Übersetzungsgeräte).Da spielten Schauspieler, die Jiddisch erst lernen mußten.Und da wurde eine Literatur wieder ins Licht gebracht, die vernichtet schien.Mit schwebender Musikalität, tänzerischer Beschwingtheit, lächelndem Ernst.Ein Verständnis vom Menschen kam zum Ausdruck, das Verfolgung und Tod Standhaftigkeit, Klugheit, auch Vergebung entgegensetzen wollte.Ida Kaminska kam dennoch nicht auf Dauer mit dem in Polen virulent gebliebenen Antisemitismus zurecht.Sie emigrierte in die USA, starb 1980.Ihr Theaterbewahrte sich seit 1970 unter Szymon Szurmiej seine Identität.1989 gastierte es mit "Der Dybbuk" wieder in Ost-Berlin.

Unser Wissen über jüdisches Theater gründet sich also zunächst auf diese ureigene ostjüdische Theaterkultur.Deren Zentren im 20.Jahrhundert waren Wilna, Riga, Minsk, Kiew, Warschau, Lodz, später auch Moskau, Odessa, Bukarest.Scholem Alejchem gehörte zu den berühmten Autoren, "Der Dybbuk" war das meistgespielte Stück.Jiddische Theater, zumeist Amateurgruppen, bildeten sich auch in den USA, in Moskau erlangte nach der Oktoberrevolution das Staatliche Jiddische Theater unter Granowski besondere Bedeutung.In hebräischer Sprache spielte, ebenfalls in Moskau, das von Nahum Zemach gegründete Ensemble Habimah, das zeitweise unter der Betreuung von Jewgeni Wachtangow als Studio dem Moskauer Künstlertheater angeschlossen war.Über verschlungene Wege (Amerika, Deutschland) kommt die Habimah 1931 nach Israel, ihr Ziel, eine nationale jüdische Bühne zu errichten, ist erreicht.1958 wird sie israelisches Nationaltheater, Zentrum einer neuen, reichen jüdischen Theaterkultur.Das ist der zweite Strang jüdischen Theaters, von dem wir durch viele Gastspiele Kenntnisse erhielten, die unvergeßliche Erlebnisse schenkten.

Aber damit sind die Fragen über ein Jüdisches Theater in Berlin noch nicht beantwortet.Sollte es von Juden gemacht werden, mit vorwiegend jüdischer / jiddischer Literatur, und in welcher Sprache? Oder will man Juden für deutsches Theater zu gewinnen, um diesem über ein neues Zentrum mit gebündelter künstlerischer Kraft einstige Bedeutung zurückzugeben? In seiner "Bilanz der deutschen Judenheit", 1961 im Metzler Verlag Köln erstmals in Deutschland erschienen, schreibt Arnold Zweig: "Rückschauend dürfen wir uns freuen, in einer Stadt gelebt zu haben, in der Otto Brahm, Max Reinhardt, Leopold Jessner Theaterepochen bestimmten." Zweig erinnert an Max Pallenberg, Ernst Deutsch, an Rudolf Schildkraut, Fritz Kortner, an Peter Lorre, Alexander Granach, an Elisabeth Bergner, Helene Weigel, an Maria Orska, Fritzi Massary und viele andere - jüdische Künstler, umgeben von einer Armada jüdischer Schriftsteller, Komponisten, Maler, Kritiker, Journalisten.Er beklagt das "unheilvolle Schrumpfen" deutscher Kultur.Die Wunden, die das braune Jahrzwölft dem deutschen Geistesleben durch Vernichtung und Vertreibung der Juden schlug, werden sich nie schließen.

Daß es aber gerade unter der NS-Herrschaft ein Jüdisches Theater in Berlin gab, muß erinnert werden.Es war Teil der Ausgrenzung, Wartessal vor der Endlösung, raffinierte Maßnahme für eine vorübergehende Beruhigung - abgeriegeltes Ghetto.Nur Juden durften für Juden spielen, von 1933 bis 1941, unter immer mehr schärferen Auflagen.Wenige nur aus der Theatergruppe des Jüdischen Kulturbundes überlebten, unter ihnen Fritz Wisten, nach 1945 bis zu seinem Tode 1962 Leiter des Theaters am Schiffbauerdamm und der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.Denkt man über ein Jüdisches Theater für Berlin nach, darf dieses bittere Kapitel nicht vergessen werden.

Es war die Regel, daß jüdische Künstler, und die in Deutschland lebenden ganz besonders, im Sprachbereich der Mehrheitskultur nicht nur gearbeitet, sondern diese "Mehrheitskultur" wesentlich gestaltet haben.Max Reinhardt ist nur ein Beispiel.Er ehrte Jahr für Jahr den Todestag seines tief im jüdischen Glauben verwurzelten Vaters und inszenierte den "Jedermann" im stockkatholischen Salzburg.Erst in der amerikanischen Emigration hat er "jüdisches" Theater gemacht, mit "The Eternal Road" von Franz Werfel.Wir werden noch lange nachdenken müssen, wie ein Jüdisches Theater für Berlin beschaffen sein könnte.Ob ein Jüdisches Theater lebendige Erinnerung an diese Arbeit jüdischer deutscher Künstler mit dem Blick in eine gemeinsam von Juden und Deutschen, von Künstlern aus aller Welt zu gestaltende Zukunft sein könnte?

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