zum Hauptinhalt
Die Autorin Angelika Schrobsdorff im Jahr 2007.

© Horst Galuschka/dpa

Nachruf auf Angelika Schrobsdorff: "Ich richte mir mein Leben ein, wie es mir passt"

Lebens- und Beziehungskünstlerin, Claude-Lanzmann-Ehefrau, Weltbürgerin, Erfolgsschriftstellerin: Zum Tod von Angelika Schrobsdorff.

Als die Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff 2006 ein zweites Mal in das Land zurückkehrte, aus dem sie fast siebzig Jahre zuvor vertrieben worden war, nach Deutschland, genauer: nach Berlin, nannte sie mehrere Gründe dafür. Das Alter und die Sprache, wobei sie eine diffuse Sehnsucht nach der Kindheit, ihren frühen Jahren in Berlin-Grunewald und am Wannsee geleitet haben dürfte, nach den familiären Wurzeln. Aber sie sie sagte auch, vor dem Hintergrund ihres Schicksals provokativ zweideutig: „In Deutschland lässt sich leichter sterben.“

Zudem begründete sie diese Rückkehr damit, sich in Jerusalem, wo sie lange Jahre gelebt hatte, politisch nicht mehr wohl zu fühlen, insbesondere die Auseinandersetzungen zwischen den Palästinensern und Israelis nicht mehr ertragen zu können. „Religion, Nationalismus, Fanatismus, alles ineinander verfilzt. Die Weichen sind lange vor Netanjahu gestellt worden. Die Verhältnisse sind auf ewig zementiert und zugleich wie Treibsand“, so hat sie das einmal in einem Interview Ende der neunziger Jahre ausgedrückt. Konsequent und frei heraus, das war Angelika Schrobsdorff immer - und mit Brüchen, mit aufgezwungenen wie von ihr herbeigeführten, konnte sie sowieso gut umgehen, gemäß dem Ausspruch, den sie die Protagonistin einer ihrer Romane machen lässt: „Ich richte mir mein Leben ein, wie es mir passt.“

Ihr Roman "Herren" wurde 1961 in der Bundesrepublik ein Bestseller

Geboren am Heiligabend des Jahres 1927 in Freiburg im Breigau als Tochter des deutschen Bauunternehmers Erich Schrobsdorff und der aus einem wohlhabenden jüdischen Elternhaus stammenden Lebenskünstlerin Else Kirschner, musste Schrobsdorff als 11-jährige nach Bulgarien emigrieren. Die Ehe der Eltern wurde 1934 geschieden, und Erich Schrobsdorff arrangierte seiner Tochter, die drei Kinder von drei verschieden Männern hatte, schließlich eine Scheinehe mit einem Bulgaren, auf dass diese Deutschland verlassen konnte. 1947 ging Else Kirschner mit ihren zwei Töchtern Bettina und Angelika zurück ins besetzte Deutschland, Ende der fünfziger Jahre begann Angelika Schrobsdorff zu schreiben.

Ausgestattet mit dem Auftrag der Mutter, „Du musst dich an den deutschen Männern rächen“ und in Sachen wilder Liebe durchaus in deren Spur – „Mein Aussehen war meine Waffe“, sollte sie später sagen –, wurde 1961 ihr Debütroman „Herren“ veröffentlicht. Darin erzählt sie stark autobiografisch grundiert und gleichermaßen freizügig wie psychologisch reflektiert die Geschichte einer jungen Frau und ihrer diversen Beziehungen zu zumeist älteren Männern im Nachkriegsdeutschland. Der Roman wurde in sieben Sprachen übersetzt und in der Bundesrepublik ein Bestseller, woraufhin Schrobsdorff thematisch ähnliche, im Nachkriegsmilieu der sechziger Jahre angesiedelte Romane wie „Der Geliebte“ und „Spuren“ folgen ließ.

Sie und Lanzmann heirateten 1971

Ende der sechziger Jahre lernte sie den Filmemacher und späteren „Shoah“–Regisseur Claude Lanzmann kennen, den sie 1971 in Jerusalem heiratete und den sie auch zu dessen ersten Film „Warum Israel“ anregte. Ihr Roman „Die kurze Stunde zwischen Tag und Nacht“, 1978 erschienen, handelt von dieser Beziehung, die sie schon bald selbst wieder lösen sollte, von einem Leben, das Angelika Schrobsdorff zu dieser Zeit zwischen Paris, München und Jerusalem führt. „Sie erzählt, was sie erlebt hat...mit Distanz und zärtlicher Ironie“, schreibt ihr ein paar Jahre später ihre und Lanzmanns Freundin Simone de Beauvoir ins Vorwort eines Buches mit Erinnerungen an Bulgarien, „Die Reise nach Sofia“

Genau so hielt es Angelika Schrobsdorff weiterhin, nachdem sie 1983 endgültig und allein nach Jerusalem übergesiedelt war: in dem berührenden Erinnerungsbuch über ihre Mutter, dem Leben mit dieser, über ihre Familie überhaupt und die Vertreibung durch die Nazis, „Du bist nicht so wie andre Mütter“, das 1992 erschien und mit Katja Riemann in der Hauptrolle verfilmt wurde. „Wenn ich dich je vergesse, oh Jerusalem“ von 2002. Oder „Grandhotel Bulgaria“ von 1997. Darin durchsetzt sie eine Reise nach Bulgarien zum Jahreswechsel 1996/97 mit den Erlebnissen, die sie als junges Mädchen auf der Flucht hatte: „Meine Bauern in Buchowo etwa, unserem Exilort auf der Flucht vor den Nazis: Ohne uns waren das neun Personen in zwei kleinen Zimmerchen, die zusammengewohnt haben. Was hatten sie? Bisschen Mais, paar Schafe, weiße Bohnen haben sie gegessen von morgens bis abends. Und welche Gastfreundschaft! Sie haben nicht gefragt, woher wir kommen.“

Was für ein Leben! An dessen Ende sie in Berlin ausgerechnet in einer Wohnung landete, die nicht weit von dem Haus ihrer Kindheit lag. Am vergangenen Wochenende ist Angelika Schrobsdorff nach langer Krankheit im Alter von 88 Jahren in Berlin gestorben.

Zur Startseite