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Joy Fleming 1975 auf der Musikmesse MIDEM in Cannes.

© dpa

Nachruf auf Joy Fleming: Die Röhre

So viel Soul und Blues hatte keine andere deutsche Sängerin in der Stimme: zum Tod von Joy Fleming

Blues, das ist die Chance, aus Niederlagen Kunst zu machen. Es geht um das Loch in der Tasche, das sich nicht mehr nähen lässt. Ums Verlassenwerden und ums Hungrigsein. Joy Fleming, die größte deutsche Bluessängerin, kannte den Mangel und die Armut. Sie kam 1944 in einem Auffanglager für Evakuierte in der Nordpfalz zur Welt und wuchs im Jungbusch auf, einem Stadtteil von Mannheim, der bis heute eine „überdurchschnittlichen soziale Problemlage“ besitzt.

Mehr Schläge als Brot

„Wir waren vier Kinder in einer kleinen Wohnung und mussten mit 100 Mark im Monat auskommen“, erinnerte sie sich später. „Mein Vater hat mich und meine Geschwister häufig verprügelt. Wir haben mehr Schläge gekriegt als Brot zu essen. Das hat mich geprägt.“ Doch den Sommer verbrachte sie mit Freunden und Geschwistern auf der Jungbuschbrücke und am Neckar. Dreißig Jahre später hat sie dem Idyll mit ihrem Hit „Neckarbrückenblues“ ein Denkmal gesetzt, einem in Mundart gesungenen Stück über eine Frau, die von ihrem Mann – „Ich geh mol schnell uff ä Bier“ – über den Fluss verlassen wird: „Er geht widder üwwer die Mannemer Brick / Die Mannemer Neckarbrick.“

G.I. Blues

In Mannheim waren amerikanische Soldaten stationiert, sie brachten den Swing und später Blues und Soul mit. Als sie 13 war, trat Joy Fleming – bürgerlicher Name: Erna Strube – zum ersten Mal in einem amerikanischen Club auf. Weil sie kein Englisch konnte, hatte sie sich die Texte lautmalerisch aufgeschrieben. Ihre Stimme war ein Naturereignis. „Den Amis hat’s gefallen, sie sind ausgerastet“, bilanzierte sie. 1966 gründete sie ihre Band Joy & The Hit Kids, die ab 1969 Joy Unlimited hieß.
Mit Joy Unlimited brachte Fleming das deutsche Pop-Musical „Tut was ihr wollt“ am Deutschen Nationaltheater in Mannheim heraus und veröffentlichte zwei englischsprachige Alben, die zu den Meilensteinen der deutschen Blues- und Soulgeschichte gehören. Nach Proben für einen Auftritt in Frankfurt am Main lobte Janis Joplin die Sängerin: „I’ve never heard such a beautiful voice like yours.“

Lieder als Brücken

Joy Fleming, die ab 1972 als Solokünstlerin unterwegs war, stieg zur festen Größe in der Schlagerwelt von Dieter Thomas Hecks ZDF-„Hitparade“ auf. Mit der Völkerfreundschaftshymne „Ein Lied kann eine Brücke sein“ holte sie 1975 beim Eurovision Song Contest in Stockholm den 17. Platz. Aus Otis Reddings Klassiker „Respect“ machte sie die deutsche Version „Geld“, sie veröffentlichte Bearbeitungen von „Superstition“ und „Feelin’ Alright“ und nahm als einzige deutsche Künstlerin eine Platte im legendären Stax-Studio in Memphis auf. „Wenn ich Blues singe, dann kommt es so richtig raus, das Elend“, hat sie gesagt. Joy Fleming ist am Mittwochabend gestorben. Sie wurde 72 Jahre alt.

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