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Am Drücker. Peter Lindbergh (23.11.1944 – 3.9.2019) im Fotokunsthaus C/O Berlin.

© Davids/Sven Darmer

Nachruf auf Peter Lindbergh: Schönheit versöhnt die Welt

Der Mann, der Supermodels machte: Der Fotograf Peter Lindbergh bestach durch freundlichen Blick und bodenständiges Wesen.

Er hat sie alle gehabt: Naomi, Cindy, Claudia, Linda, Christy. Peter Lindbergh war der Erste, der Models als menschliche Wesen und nicht als Kunstfiguren fotografierte. Dafür reichte ihm ein einfacher Kniff. Er fotografierte die Models in weißen T-Shirts und Jeans und nicht in Haute Couture. Er ließ sie direkt in die Kamera schauen und ermöglichte dem Betrachter so den unverstellten Blick auf die Schönheit der Frauen. Damit schuf er Ende der achtziger Jahre den Mythos der Supermodels. Frauen, die verehrt wurden wie Göttinnen und so gut bezahlt waren, dass sie unter 10 000 Dollar Tagesgage nicht aus dem Bett stiegen, wie es Linda Evangelista einmal behauptete.

Im Vergleich zu diesen Superfrauen der Neunziger war Peter Lindbergh nicht nur optisch ein herber Kontrast. Die Brille vorne auf die Nasenspitze geschoben, eine eher undisziplinierte Figur, hochgekrempelte Ärmel und vor allem ein freundlicher Blick auf die Welt, der es ihm ermöglichte, auch dann gelassen zu bleiben, als Naomi Campbell Aufnahmen in einem Pool mit der Begründung boykottierte, dass er zu kalt und vor allem zu nass sei. Da sprang er eben selbst hinein und machte seine Arbeit, ohne viel Aufhebens, aber mit ganzem Herzen.
Als er im Februar zur Berlinale den Film „Women’s Stories“ von Jean Michel Vecchiet vorstellte, deren Hauptfigur er war, gab er einen Tag lang ein Interview nach dem anderen. Es dauerte ein paar Sekunden, dann hatte sich Peter Lindbergh auf sein Gegenüber eingestellt und redete drauflos, als wäre man zum Kaffeetrinken verabredet. Er erzählte von Naomi, von der „Vogue“-Chefredakteurin Anna Wintour und von Richard Avedon, den er bei der amerikanischen „Vogue“ als Fotograf beerbte, wie von gemeinsamen alten Bekannten. Er selbst gab sich dabei ein wenig die Rolle des Narren, der den anderen mit seiner Unvoreingenommenheit einen Streich spielt. Dazu passt, dass er einmal vor laufender Kamera Catherine Zeta-Jones „dat Katrin“ nannte.
Peter Lindbergh muss auch sonst ein angenehmer Mensch gewesen sein, zur Berlinale begleiteten ihn die zwei wichtigen Frauen seines Lebens – Astrid, seine erste Frau und Petra, mit der er bis zu seinem Tod zusammen war. Von beiden bekam er je zwei Söhne, dazu kommen sieben Enkelkinder.

In den Neunziger erfindet er die szenische Modestrecke

Lindbergh schaffte es sogar noch ein zweites Mal, die Modefotografie zu verändern. Er erfand in den Neunzigern die szenische Modestrecke. So erzählte er für die italienische „Vogue“ von der Invasion Außerirdischer. Das Supermodel Milla Jovovich flüchtet auf einem Highway aus ihrem Auto, ihr Gesicht eindrucksvoll angstverzerrt, Kleidung wird dabei zur Nebensache. Immer wieder hatte Peter Lindbergh abenteuerliche Budgets zur Verfügung, um damit eine Gefühlswelt um die Mode aufzubauen, die mehr war als nur platte Darstellung von Schönheit.
Dabei ging es ihm genau darum, die Welt mit Schönheit zu versöhnen und den richtigen Moment dafür einzufangen. Deshalb hasste er auch die übermäßige Kontrolle der modernen digitalen Fotografie „wie eine Nuklearbombe“, sagte er einmal dem Tagesspiegel. Das ist sicher auch biografisch bestimmt.
1944 im Krieg als Peter Brodbeck im heute polnischen Wartheland geboren, war seine eigentliche Heimat das Ruhrgebiet, wohin die Familie vertrieben wurde. Das hörte man auch nach 50 Jahren Paris und New York noch. Ein leichter Singsang in der Stimme, eine direkte Art und vor allem das Bedürfnis, mit beiden Füßen fest auf dem Boden zu bleiben.

Plötzlich war das Denken die Kunst

Er wuchs in Duisburg mit einer unglücklichen Mutter auf, die erst spät ihr Talent entdeckte. Zu spät – erst mit über 30 Jahren begann sie, Gesangsunterricht zu nehmen. Bei einem Vorsingen ließ man sie wissen, dass sie es sonst womöglich bis an die Mailänder Scala geschafft hätte. Ihre Enttäuschung darüber lastete schwer auf der Familie, sie starb früh.
Auch das mag den Sohn bewogen haben, immer nach einer Beschäftigung zu suchen, die ihn ganz einnehmen würde. Die Schule war es ganz sicher nicht. Ein Lehrer bedauerte einmal, dass Noten bei 6 endeten – Peter hätte eine 8 verdient.
Das störte Lindbergh wenig. Nach dem Volksschulabschluss machte er eine Lehre zum Schaufensterdekorateur und studierte nach einer langen Reise durch Spanien und Marokko freie Kunst in Krefeld. Damit war Schluss, als er die amerikanische Konzeptkunst entdeckte. „Das war so brillant und anders, plötzlich war das Denken die Kunst und nicht, irgendwelche Kringel aufs Papier zu setzen. Das hat mich so umgehauen, da habe ich am nächsten Tag mit der Kunst aufgehört“, erinnerte er sich. Stattdessen nahm er einen Job als Fotoassistent an: „Nach drei Monaten wusste ich, Fotografie ist das Ding. Und dann ist es auch ein bisschen so geworden. Wenn man nicht sucht, was in einem ist, wird es immer B-Movie sein.“ Das ist Peter Lindbergh gelungen, seine Arbeit und sein Leben waren ohne Frage ein echter Blockbuster. Am Dienstag ist er in Paris gestorben.

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