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Goldenes Handwerk. Wolfgang Sawallisch am Pult, aufgenommen in Paris, 1994. Foto: culture-images/Lebrecht

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Nachruf: Der letzte Kapellmeister

Zum Tod des Dirigenten und Pianisten Wolfgang Sawallisch.

Im Innersten, jenseits von allem, was die große Welt aus ihm machte, war er der letzte Vertreter eines redlichen Standes. Natürlich, auch er wurde zum Star entwickelt, in die Positionen transportiert, die seinen Namen ausmachten: Anfänge in Augsburg, Talentschmiede Aachen (woher Karajan aufstieg), Kölner Opernchef, Chef der Wiener Symphoniker. Und dann der Aufstieg in die bayerischen Höhen seiner Heimat: München – zuerst an der Seite Günther Rennerts, später Bayerischer Staatsoperndirektor und Generalmusikdirektor in Personalunion.

Gerade Letzteres ging gut, weil Sawallisch immer auch ein fleißiger Beamter war. Er hatte ein solides Lieferbewusstsein, eine als Bayer geradezu preußische Disziplin, unpathetisch, allürefrei. Er nahm verzehrende Ämter als Pflicht in Kauf, um eines einzigen Zieles willen: um Musik machen zu können auf höchstmöglichem Niveau. Er war nie ein charismatischer Interpret, musikalischer Visionär oder Prophet. Er war ein intelligenter Praktiker mit dem dezidierten Drang nach Deutlichkeit in der Vermittlung von Musik. Drei Bücher beweisen es – eines heißt: „Im Interesse der Deutlichkeit“.

Sawallisch war ein klarer Kopf, der neidlos bewunderte, was andere Meister seines Faches besaßen und was er nicht hatte: etwa das Magische, das er an Furtwängler verehrte. Er begriff das Genie neben ihm, man denke nur an Carlos Kleiber, diesen Gegentyp zu jedem auch noch so perfekten Kapellmeister. Und genau das war Wolfgang Sawallisch. Aus dieser Perfektion wuchs ihm mit den Jahren die Aura des absoluten Könners. Sein Glanz kam aus der Deutlichkeit seiner Realisation – man wusste vom ersten Ton an, das Schiff fährt sicher durch alle Untiefen, und der Kapitän ist hellwach.

In Sawallisch vollzog sich der wahre Generationenwechsel der Interpreten des letzten Jahrhunderts. Mit der Makellosigkeit seines Könnens und rationalen Verstehens löste er die großen Mystiker des Dirigentenpultes ab und machte die Musik zu einer klaren Sache. Das hat man ihm verübelt. Visionäre wie Celibidache verwiesen ihn in die Musikverwaltung. Verständlich, denn Sawallischs Rationalität fordert es heraus. Er konnte kein Pathos ertragen, es wäre denn begründbar gewesen. Und so hat er seine stärkste Wirkung ausgerechnet am Werk des größten Pathetikers erreicht: bei Wagner.

Niemand hätte dessen Musik zusammen mit Wieland Wagner dergestalt entmythologisieren können wie Sawallisch, und das tat dieser Musik zu dieser Zeit so gut. Und gut war, dass gerade dieser Akt einem deutschen Musiker gelang in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Wieland Wagner aber war klug genug, sich von dieser Sachlichkeit auch wieder zu distanzieren. Er dachte geschichtlich voraus, und Sawallisch bedeutete ihm eine Station für die Explosion des neuen Zugriffs. Plötzlich war Emotion etwas, das man sich erarbeiten musste durch klare Strukturen hindurch, um sie sich dann erlauben zu können in richtiger Dosis. „Tannhäuser“ und „Holländer“ wandelten sich zu radikalen musikalischen Dramen von bedrängten Menschen.

Auch hier verstand sich Sawallisch nicht etwa als Revolutionär, sondern als echter, als moderner Traditionalist. Für Wieland Wagner war essenziell, dass seine Aufklärung nicht von einem musikalischen Extremisten getragen wurde, sondern von einem grundehrlichen Makler, von einem Meister musikpraktischer Professionalität, der die Sache auf den Prüfstein stellt und fragt, was es zu bewahren und was es zu erneuern gilt. Dafür, dass Sawallisch seinen Ehrgeiz (und der war enorm) in ein lichteres Wagnerbild setzte, ist ihm aufs Höchste zu danken.

Ein Meister am Klavier

Der Erfolg des Wolfgang Sawallisch liegt in seiner Handwerklichkeit, und die zur Größe zu entfalten gegen alle Vor- wie Feindbilder, ist eine eminente Leistung in Deutschland. Diese Qualität hat weltweit überzeugt. In Amerika wurde er bis in seine späten Jahre als Chef in Philadelphia (von 1993 bis 2003) zur Vaterfigur, und in Japan, wo seine Rezeption gewiss am wärmsten war, nahmen seine Auftritte seit 1969 geradezu Formen der Heiligenverehrung an: Sawallisch konnte immer zeigen, wie es geht und wohin es gehen soll. Für Japan ideal.

Dass er ein wunderbarer Pianist war, nein, ein Meister am Klavier, der eben keine pianistischen Interessen verfolgte, bezeugen die herrlichsten Kammermusiker und Sänger. Leuchtende Klarheit in Brahmsliedern mit Fischer-Dieskau, missionarische Taten in Sachen Pfitzner, meisterhafte Diskretion und Strukturbewusstheit bei Wolf, Strauss, Schubert – Aufnahmen mit Price und Prey, mit Popp und Schreier und vielen anderen beweisen es.

Sawallisch hat in Oper und Konzert sogar viel Neuem den Weg geebnet, aber mit Maß und unter Ausschluss der sogenannten Avantgarde: Seine Säulen blieben Mozart, Wagner, Strauss. Kaum konnte man Misslungenes bei Sawallisch erleben, selten aber auch jene Momente des Herzstillstandes im Hörer, weil sich etwas Unfassbares offenbarte. Und doch, auch das gab es bei Sawallisch, und er, der Meisterdirigent auf dem Boden jener Handwerksideologie aus den Wagner’schen „Meistersingern“, empfand sie als Gnade. Sie geschahen mit ihm dann und wann im Verdi-Requiem, bei Mozarts Opern, die er vom Klavier aus realisierte, im „Ring“ oder gar in den von ihm so geliebten Spielopern eines Lortzing oder in einer Weber-Ouvertüre.

Makellose Balance und klassische Klarheit: Sawallischs Mendelssohn, Schumann, besonders sein Schubert bleiben ebendeshalb vorbildlich, speziell in der verdienstvollen Gesamtaufnahme von Schuberts Chorwerken. Auf seine Weise hat er musikalische Interpretation im letzten Jahrhundert wieder ehrlich gemacht, in Größe und Grenze.

Wie erst jetzt bekannt wurde, starb Wolfgang Sawallisch bereits am Freitag im Alter von 89 Jahren in seinem Haus im oberbayerischen Grassau.

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