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Drei Bücher, fünf Jahre: Anna Jonas veröffentlichte in den 80er Jahren im Rotbuch Verlag Gedichtbände und eine fiktionale Biografie.

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Nachruf: Die Unruhige

Die Berliner Schriftstellerin Anna Jonas ist tot. Ein Nachruf.

„Texte entstehen in Pausen. Nicht in jeder Pause entsteht ein Text. Es gibt lange und kurze Pausen. Die Länge der Pausen hat nichts mit Länge oder Kürze der Texte zu tun. Texte entstehen unabhängig von den Pausen, aber in ihnen. Pausen und Texte bedingen einander, sonst haben sie nichts gemeinsam.“ Dieses Stück aus ihrem zweiten Gedichtband „Sophie und andere Pausen“, der 1984 im Berliner Rotbuch Verlag erschien, klingt wie eine kurze, die literarische Biografie der Dichterin Anna Jonas resümierende Notiz. Denn in knapp fünf Jahren und drei Büchern, einer Art Pause innerhalb eines unruhigen und wechselhaften Lebens, konzentriert sich die literarische Existenz dieser Autorin. Sie hatte beim Literarischen März in Darmstadt 1979 einen Förderpreis und 1980 für eine Erzählung den Verlegerpreis beim Klagenfurter Ingeborg Bachmann-Preis erhalten, ehe 1981 ihr erster Gedichtband „Nichts mehr an seinem Platz“ erschien.

Zuvor hatte die 1944 in Essen geborene Anna Jonas in Berlin Politologie studiert, als Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten gearbeitet, in Spanien gelebt und die Promotion über die Industrialisierung Spaniens seit den fünfziger Jahren zugunsten der politischen Arbeit im halb legalen oder gänzlich illegalen Intellektuellen- und Protestmilieu der späten Franco-Jahre aufgegeben. Als sie 1978 nach West-Berlin zurückkehrte, sagte sie, sie sei „von der Politik zur Sprache, von der Sprache zu den Wörtern gekommen“; sie hatte Spanisch gelernt, übersetzte spanische Literatur und begann, eigene Gedichte und Prosatexte zu veröffentlichen.

Die 1985 erschienene fiktionale Biografie „Das Frettchen“ erzählt von bürgerkriegsähnlichen Zuständen an der Grenze zwischen Spanien und Portugal und weitet die allgegenwärtige Bedrohung auf sämtliche Weltregionen aus, die das erzählende Ich bereist. Ein literarisches Dokument jener Vorstellung von Kontrolle, wie sie aus den späten siebziger Jahren vertraut war, jener von greisen Diktatoren und unzurechnungsfähigen Politbürokraten geprägten Zeit.

Mit F. C. Delius hatte Anna Jonas 1984 im Literarischen Colloquium die Berliner Tagung „Flüchtlingsgespräche“ organisiert; Gespräche und Lesungen westdeutscher und aus der DDR emigrierter Schriftsteller, die sich dem versöhnlichen, den Vorgaben der DDR-Ideologen folgenden Abgrenzungsdiktat widersetzten. 1987 eskalierte im westdeutschen Schriftstellerverband der ideologische Streit zwischen den „Friedensfreunden“ im Verband, die von der IG Druck und Papier sowie von Einflussagenten der DDR gesteuert waren, und den „Menschenrechtlern“; damals wurde sie unter großem Einsatz von Günter Grass zur Vorsitzenden des Schriftstellerverbands der Bundesrepublik gewählt. Das Projekt einer Zusammenführung der Fraktionen musste scheitern; nach einem Jahr traten Jonas und Grass aus. Sie arbeitete als Journalistin, arbeitete als Leiterin einer Gewerkschafts-Tagungsstätte, in der sie sich erfolglos verausgabte. Am 13. März ist sie, wie erst jetzt bekannt wurde, in Berlin gestorben. Ernest Wichner

Ernest Wichner

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