zum Hauptinhalt
Wahlvenezianer. Der Schriftsteller Gaston Salvatore (29.9.1941 bis 11.12.2015).

© picture-alliance/ obs/Stefan Logemann

Nachruf Gaston Salvatore: Salonkämpfer

Zwischen Chile, Berlin und Venedig: Zum Tod des Schriftstellers Gaston Salvatore.

Von Gregor Dotzauer

Der zweifelhafte Ruhm seiner Werke stand ein Leben lang im Widerspruch zum Glanz seiner Person. Gaston Salvatore galt als schönster und impulsivster Mann der deutschen Achtundsechziger, seine Theaterstücke aber fielen so gut wie alle durch. Seitdem er 1972 mit „Büchners Tod“ am Hessischen Staatstheater in Darmstadt debütierte, verhandelte er immer wieder die großen, die allzu großen weltgeschichtlichen Themen von Umsturz, Widerstand und Tyrannei. Doch ob bei „Stalin“ (1985), „Hess“ (1991) oder „Allende“ (2000): Mit seinen Kritikern wurde er nicht glücklich – und sie nicht mit ihm.

Doch es gibt mindestens eines seiner Bücher, ohne das die deutsche Literatur ärmer wäre, und dass es von einem Chilenen mit italienischem Pass stammt, verleiht ihm seinen besonderen Reiz. Die Erzählungssammlung „Waldemar Müller – Ein deutsches Schicksal“, zuletzt 2013 bei Wallstein erschienen, präsentierte einen Zeugen der bundesrepublikanischen Zeitgeschichte ohne Gesicht und erkennbare Gestalt. Müller, der sich Anfang der achtziger Jahre zunächst in monatlichen Lieferungen in der von Salvatore zusammen mit seinem Freund und Mentor Hans Magnus Enzensberger gegründeten Zeitschrift „TransAtlantik“ vorstellte, war so etwas wie Woody Allens Zelig: ein allgegenwärtiger Durchschnittsdeutscher, der sich den unterschiedlichsten Milieus unterschiedslos anpasste. Die Müller-Satiren sind ein schönes Stück Mentalitätsgeschichte und reichen bis ins wiedervereinigte Deutschland.

Salvatore, 1941 in Valparaiso als Sohn einer chilenischen Mutter und eines italienischen Vaters geboren, war ein Neffe Salvador Allendes. 1965 kam er als Volljurist und diplomierter Agrarökonom nach Berlin und studierte an der Freien Universität Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft weiter. Die Politik fand für ihn bald vor allem auf der Straße statt. Zusammen mit seinem engen Freund Rudi Dutschke agitierte er die Kommilitonen und war überhaupt revolutionär gesonnen: 1969 wurde er wegen Landfriedensbruchs zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Es war die Zeit, in der er kurzzeitig mit der chilenischen Guerilla sympathisierte und, vermittelt durch Enzensberger, dem auf Kuba politisierten Komponisten Hans Werner Henze begegnete. Der vertonte erst Salvatores Gedicht „Versuch über Schweine“ und 1971 insgesamt 17 Gedichte seines Bandes „Der langwierige Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer“.

Der Übergang vom Straßenkämpfer zum Salonlinken dürfte aufgrund von Salvatores stabiler Eitelkeit sanft verlaufen sein. Der Hass, den ihm Harald Wieser 1983 im „Spiegel“ entgegenbrachte und vor dem er endgültig nach Venedig floh, war dennoch unangebracht. Man lese etwa noch einmal Salvatores „Stern“-Porträt von Alfred Dregger – aus heutiger Sicht ist es weniger liebedienerisch als bemüht, einen nationalkonservativen Hardliner ernstzunehmen. Am Freitag ist Gaston Salvatore mit 74 Jahren einer Krebserkrankung erlegen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false