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© Ullstein/Kelm

Nachruf: Rudolf Springer war ein Pionier

Er war der älteste Kunsthändler in Berlin und lebte sehr nach eigenem Gusto. Zum Tod einer Jahrhundertfigur, dem Berliner Galeristen Rudolf Springer.

Einen wie ihn wird man nicht mehr sehen. Die Nachruf-Floskel hat im Fall des Berliner Galeristen Rudolf Springer ihren begründeten Sinn. Und dabei ist der Umstand, dass er in der Nacht zum Dienstag im hohen Alter von exakt 100 Jahren gestorben ist, noch ein fast zu vernachlässigendes Datum – obwohl ihm das Erreichen dieses ehrfurchtheischenden Geburtstags, den er im April mit Stolz und im großen Rahmen von Freunden und Bewunderern feierte, viel bedeutete. Es macht diesen Tod bedeutsam, dass mit ihm die Verkörperung und der Zeuge für vieles dahingegangen ist, was an dieser Stadt Berlin mitmodelliert hat. Insofern war er für diese Stadt eine Jahrhundertfigur.

Natürlich war er der älteste Kunsthändler in Berlin, der Doyen der Galerie- und Kunstszene, eine legendenumwitterte Gestalt. Er war Geschäftsführer in der in die Berliner Nachkriegskunst-Geschichte eingegangenen Galerie Rosen, der ersten Galerie nach dem Krieg, mit der das Berliner Nachkriegskunst-Leben wieder begann. Er machte 1948 seine erste eigene Galerie auf und blieb seither eine Konstante des Kunstbetriebs, zuletzt über Jahrzehnte in der Fasanenstraße, bis er dort 1998 seine letzte Vernissage zelebrierte. Um dann sogleich weiterzumachen – und zwar dort, wo er angefangen hatte: in seinem Elternhaus in Zehlendorf.

In diesem großen Landhaus, das nicht von Hermann Muthesius stammte, sondern vom Stuttgarter Architekten Oscar Pfennig, aber den Geist der Epoche ausstrahlte, die Verbindung von Bürgerlichkeit und Aufbruch, hat er praktisch sein ganzes Leben zugebracht. Und etwas von diesem Jahrhundertwende-Berlin,der vielleicht besten Zeit der Stadt, steckte noch in ihm, als Haltung und als Anekdote, obwohl er in der deutsch-jüdischen Verlegerfamilie, aus der er stammte, eher ein Ausreißer war. Sein Urgroßvater Julius Springer hat den wissenschaftlichen Springer-Verlag gegründet, der vor dem Ersten Weltkrieg unter der Leitung seines Vaters Weltgeltung erlangte.

Doch der junge Springer steuerte von Anfang an in ein anderes, bewegteres Leben, machte eine Kaufmannslehre, vertrat eine Firma in Frankreich und wurde nach Kriegsende Kunsthändler, als Quereinsteiger ohne eine Ausbildung. Das Gepräge seiner großbürgerlichen, lebensreformerisch angehauchten Herkunft, das Beharren auf dem Unkonventionellen und Unabhängigen, hat er sich Zeit seines Lebens bewahrt. Und in der Höhle, die das Zehlendorfer Haus für ihn geworden war und in dem er, in den Rollstuhl gebannt, seine letzten Jahre verbracht hat, war es im altväterlichen Hausrat, in Büchern und Bildern spürbar gegenwärtig.

Als Kunsthändler war Rudolf Springer ein Türöffner, ja, seinem Temperament gemäß: ein Tür-Aufreißer und oft genug ein Pionier. Er hat in der Nachkriegszeit die neuen Berliner Künstler ausgestellt, Heinz Trökes und Werner Heldt, er hat die aufregenden Franzosen von damals und die nach Paris emigrierten Deutschen nach Berlin gebracht, er hat sich für die jungen Deutschen der sechziger Jahre eingesetzt, für Baselitz und Immendorf, aber auch für einen eigensinnigen Einzelgänger wie Friedrich Schröder-Sonnenstern. Bei ihm hatten Künstler aller Richtungen ihren Auftritt, oft den ersten. Hatte er ein Programm? Sein Programm war sein Sinn für Qualität, aber vor allem seine Lust am Gewagten, am Vitalen, am Unkonventionellen und Eigenständigen. Darin erfüllte sich für ihn Kunst.

Untrennbar verbunden mit seiner Ausstellungstätigkeit war die Person Springer, ihr Charakter, ihre Eigentümlichkeit. Der Galerist mit den berühmten Vernissagen, bei denen sich das kunstbegeisterte (West-)Berlin traf, und der Stammgast der Paris Bar um die Ecke – erst zuletzt, schon hoch in den Jahren, wendete er seine Sympathie dem Grill Royal am Schiffbauerdamm zu. Er war der Lebenskünstler, der einem auf die Frage nach seinem Befinden unbeirrt ein „blendend“ entgegenschmetterte, weil seine Lebensauffassung Selbstmitleid nicht zuließ, und der zu Geburtstagen gerne mit Fotos einlud, die ihn als Abiturienten bei der Riesenwelle am Hochreck oder als Beau im Stil der dreißiger Jahre zeigten. „Er gibt gerne den Schlawiner“ bemerkte sogleich die Kollegin Susanne Kippenberger, die ihn kurz vor dem Hundertsten besuchte.

Er lebte sehr nach eigenem Gusto – drei Frauen, sechs Kinder, bis er sich vor vier Jahrzehnten mit der Malerin Christa Dichgans verband. Die Fotografie von Michael Ruetz, dies ihn im Herbst 1968 beim Sprung von einem Friedhofsgrabstein in der Einflugschneise des Tempelhofer Flughafens abbildete, porträtierte eine Berliner Ikone.

Das Phänomen Springer gehörte, gewiss, zu West-Berlin. Aber kaum irgendwo ist die Einschränkung, die in diesem Begriff mitschwingt, so unbegründet wie bei ihm. Er kam aus dem liberalen, weltläufigen Berlin, das den Ruf der Stadt mitbegründete, und reichte hinein in das neue. Und es war ihm nur angemessen, dass eine international angesehene Galerie in der Sophienstraße ihm in seinem 98. Lebensjahr eine Ausstellung widmete. Beeindruckend und anrührend war dort der Bogen der Zeiten und Stationen zu besichtigen, den Springers langer Lebensweg gezogen hat. Und erst recht zeigte die Fülle der Beiträge zu seinem 100. Geburtstag vor zwei Monaten, dass die Stadt wusste, was sie an ihm hatte.

Eine Gestalt wie Rudolf Springer ist denkwürdig in ihrer Art. Von ihr werden nicht nur ein paar Fußnoten in der Nachkriegskunstgeschichte Berlins bleiben – und die Werke, zu denen er Künstlern und Kunstsammlern verholfen hat. Ein solches Leben, in dem Fülle und Eigensinn, Schroffheit und Liebenswürdigkeit auf unverwechselbare Weise zusammengingen, bereicherte alle, die mit ihm in Berührung kamen. Und es fügte – auf welchen mysteriösen Wegen auch immer – der Stadt ein Fluidum hinzu, das ihr Eigentliches berührt. Sein Nonkonformismus und seine Unabhängigkeit, sein Witz und sein rauer Charme zeugten von ihr und für sie. Und wenn uns heute die merkwürdige Aufforderung erreicht, englisch verbogen, Berlin zu sein: Rudolf Springer hat in seiner unverwechselbaren Weise dieses Berlin gelebt.

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