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Kultur: Nacht, Mond und Wolken

Sie mögen Kurzweil, im Kino? Gehen Sie nicht in diesen Film.

Sie mögen Kurzweil, im Kino? Gehen Sie nicht in diesen Film.Sie suchen den visuellen Reiz? Gehen Sie nicht in diesen Film.Aber zumindest eine Botschaft wird er doch haben, wenn er schon weder unterhaltsam noch sonstwie aufregend ist? Sollten Sie eine der eindeutigen Art suchen: Gehen Sie nicht in diesen Film.Lesen Sie nicht weiter.Vergessen Sie den "Geschmack der Kirsche", bevor Sie Appetit darauf bekommen.

Sie wollen doch davon kosten? Eine Kirsche nur, auf der Zunge zergangen nach langer Fahrt durch Licht und Leere und Staub? Eine einzige saftige Kirsche, die Ihnen ein aufgelesenes Knittergesicht da hervorzaubert, jemand, von dem sie solches Kunststück am wenigsten erwartet hätten? Ja, eine Kirsche, nur eine, und ihre Süße wird Ihnen unvergeßlich sein.

Herr Badii will sterben.Wir wissen nicht: warum.Wir wissen nur: daß.Wir wissen: Ein ruhiger, freundlich aussehender Mann um die Fünfzig, am Steuer eines Range Rover.Wir wissen: Er hat sich das Grab schon ausgehoben in den Hügeln vor der Stadt namens Teheran, unter einem Baum auf einem der leeren, braunen Hügel, braun wie Abraumbrache, totes Land.Wir wissen: In der Nacht wird er hineinkriechen, und am Morgen will er tot sein.Er braucht nur eine kleine letzte Hilfestellung von einem letzten Menschen, den er gut entlohnen will.Komm und nimm den Spaten und decke meinen toten Körper mit Erde zu.

Diesen letzten Menschen sucht Herr Badii, und das ist, wenn Sie so wollen, der ganze Film."Suchst du Arbeiter?" fragen die Männer in den Vorstadtstraßen in dieses Auto mit heruntergelassener Seitenscheibe hinein, und schon da scheint es, als sei eine zentimeterdicke Aquarienscheibe zwischen diesem Fahrer und der Welt.Nein, Herr Badii sucht keine Arbeiter.Und keine Angsthasen in Soldatenuniform, denen der in zehn Minuten verdiente Sechsmonatssold schon zupaß käme, nicht aber die panische Erinnerung daran, wie sie an das Geld gekommen sind.Und keine islamischen Seminaristen, die den zum Freitod Entschlossenen als Sünder orten und entsprechend zu missionieren suchen.Dann aber sitzt da dieser Herr Bagheri im Auto, er arbeitet im Naturkundemuseum als Tierpräparator, und er willigt ein."Es ist schwer", sagt er, aber er wird es tun, wenn denn der Herr Badii es wirklich will, und wegen des Geldes auch, "für mein Kind".

Ist Herr Badii jetzt glücklich? Oder ist er wenigstens am Ziel?

Äußerste Reduktion.Und äußerstmögliche Erschütterung.Sie steckt in der einen Minute, die Herr Bagheri braucht, um die Kirsche hervorzuzaubern, die eine Metapher ist oder eine Erinnerung, mit ein paar sehr schmucklosen Wörtern.Und auf einmal stehen zwei gleichstarke Philosophien einander gegenüber, ohne sich zu bekämpfen: Badiis Anspruch auf die Freiheit des Menschen zu handeln, anstatt zu "warten, bis Gott handelt", und Bagheris sanfter Hinweis auf ein paar Dinge, die sein Gegenüber dann nicht mehr sehen, fühlen, hören, schmecken wird.Eine wunderbare Unruhe ist die Folge, wie das Zittern des Baumes, bevor er fällt: ein Verrat fast, wie die Sache ausgehen könnte.Dann die Nacht.Der Mond.Die Wolken.Der Mond.Herrn Badiis Augen.Und Schwarzfilm.Anderthalb Minuten Schwarzfilm.Gehen Sie jetzt nicht aus dem Film, trotz anderthalb Minuten Schwarzfilm, denn er ist noch nicht zu Ende.Keine Auflösung, nur andere Farben.Immer noch keine Summe, die Sie ziehen könnten.

Die iranischen Behörden haben 1997 diesen Film nicht außer Landes gehen lassen wollen, wohl, weil Freitod in Iran geächtet ist.Die Mullahs dürfen die Kinder Irans zwar zu Hunderttausenden in den sicheren Tod heiliger Kriege schicken, aber aus eigenem Willen aus dem Leben scheiden darf man in diesem Staat nicht.In letzter Minute durfte Abbas Kiarostami doch seinen Film in Cannes präsentieren, und nach Ende der Vorführung war klar, daß er dafür die Goldene Palme bekommen würde.Nicht wegen des politischen Signals.Sondern wegen der ihm innewohnenden ungeheuer sanften Strenge, wegen der sensiblen Sicherheit, mit der er, nachdem er die Köpfe bewegt hatte, das Herz packte, ohne den Kopf zu verlieren, wegen des Muts, Herrn Badii auch nach der winzigen, gewaltigen Rede seines analphabetischen Beifahrers die Freiheit, alle Freiheit zu lassen.

"Ohne die Möglichkeit zum Suizid hätte ich mich längst umgebracht", hat der rumänische Philosoph E.M.Cioran 1989 in einem "Newsweek"-Interview gesagt - und es ist dieser Satz, der den großen Iraner Kiarostami nach eigenem Bekunden zu diesem Film inspirierte.Ein Paradox, wie jeder tiefste Lebensmotor.Nur wer nicht zum Leben gezwungen ist, kann es sich aneignen.Oder auch nicht.Sehr allein, wie man vor der Möglichkeit des Todes ist, und sehr frei."Und alles war wieder gut?" fragt Badii den Herrn Bagheri am Ende seiner kurzen Erzählung.Und der andere bleibt sehr ruhig, sehr genau: "Nein, es war nicht gut, aber ich hatte mich verändert."

Gehen Sie nicht in diesen Film, wenn Sie das alles wissen.Oder niemals gezweifelt haben.Aber nur dann.

Filmbühne am Steinplatz und Hackesche Höfe (beides OmU)

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