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Nachwuchs mit Schiller-Schwung: Roger Vontobel: Des Menschen Innerstes

Mit seinem Gespür für Menschen und ihr Innerstes fällt er aus der Mode. Der Newcomer: Regisseur Roger Vontobel und sein Dresdner "Don Carlos".

Roger Vontobel fährt mit dem Rad am Bochumer Schauspielhaus vor, in bester Stimmung und beflügelt vom Schiller-Schwung. Er probt gerade „Johanna von Orleans“, im Juni ist Premiere. Vontobel, ein hoch aufgeschossener Typ, Jahrgang 1977 und Hausregisseur in Bochum, lässt sich auf einer Bank hinter dem Theater nieder und erzählt von seiner Arbeit. Vom Prinzip Lena Meyer-Landrut, das der Johanna ja auch widerfahren sei: Spielball der Mächtigen, der Produzenten zu sein. Mit dem Unterschied natürlich, Vontobel lächelt, dass die französische Märtyrerin von einem Ideal getragen war. „Ich finde es spannend, wie diese Frau immer wieder von Männern instrumentalisiert wurde“, sagt er, „nicht zuletzt von Herrn Schiller“. Auch der habe sie ja benutzt – für sein flammendes Fanal.

Herr Schiller und der Idealismus also. Für Vontobel haben sich dessen Historienstoffe in Erfolgsgeschichten verwandelt. Nach einem veritablen Triumph mit „Don Carlos“ am Staatsschauspiel Dresden wurde ihm 2010 der „Faust“-Preis verliehen, jetzt ist die Produktion zum Theatertreffen eingeladen. Mehrfach zu Recht.

Vor allem ist dieser „Carlos“ ein Ensemble-Triumph, mit Christian Friedel als Don Carlos, Sonja Beißwenger als Elisabeth, Matthias Reichwald als Marquis von Posa und einem überragenden Burghart Klaußner in der Rolle des Königs Philipp. Nicht von ungefähr gilt Vontobel als Künstler im Umgang mit Schauspielern. Klar habe er Respekt vor der Begegnung mit Klaußner gehabt, sagt er, dreißig Jahre Erfahrungsvorsprung müsse man gar nicht erst überspielen. „Aber wenn man eine klare Haltung hat, ist es immer möglich, sich gemeinsam einzulassen.“ Auf die Suche zu gehen, wie er es gern nennt, in größtmöglicher Offenheit. „Ich will nicht am ersten Probentag alles wissen. Erstens langweile ich mich dann selber. Zweitens glaube ich es mir nicht.“

Im Fall von „Don Carlos“ haben der Regisseur und seine Mitstreiter im Stoff einen abgründig menschlichen Thriller entdeckt, aufgezogen als paranoiabefeuertes Palastgeflüster vor und hinter dunklen Wänden. „Schiller ist unglaublich genau in der Beschreibung von Kalkül, von Machtapparaten, den Verquickungen von Privatem und Politischem“, sagt Vontobel. Und diese zeitlosen Wirkmechanismen – „einer hat schlecht geschlafen, deswegen müssen andere sterben“ – legt er mit staunenswerter Könnerschaft offen.

Das Einzelschicksal als Weltbrandbeschleuniger, der Zusammenfall von Gestern und Heute, das hat ihn schon in seiner ersten Arbeit interessiert, „Fi'lo:tas“, 2002 in Hamburg entstanden. Er hält sie bis heute für die wichtigste, „weil sie so eine große Notwendigkeit hatte.“ Damals zog er sich mit der Schauspielerin Jana Schulz – immer wieder Protagonistin seiner Arbeiten – nächtelang in den Probenraum zurück und lotete die Parallelen zwischen Lessings „Philotas“ und dem Fall des „amerikanischen Taliban“ John Walker Lindh aus. Ließ die Folien sich reiben und schlug daraus Funken.

Mittlerweile liest er die Gegenwart eher aus den Stoffen selbst. In einem großen Wurf wie seiner Bochumer Inszenierung „Die Labdakiden“ aus dem vergangenen Jahr etwa, die nach Sophokles, Aischylos und Euripides die Geschichte von Ödipus und seinen Kindern als bestürzend-brandaktuelle Familientragödie und Politkrimi erzählt. Vontobels Talent ist, dass er noch die komplexesten Texte so lange durchdringt, bis er sie nicht nur verstanden hat, sondern auch verständlich machen kann. Nichts zu spüren von der aufgesetzten Konzepthuberei vieler seiner Generationsgenossen, vom Prinzip: „Geil, wir machen jetzt Kleist mit sieben Penthesileas“. Könne natürlich auch seinen Reiz haben, sagt der Regisseur. „Ist aber nicht meins.“

Ganz sicher fällt Roger Vontobel mit seinem Gespür für Menschen und ihr Innerstes aus der Mode. „Ich erlebe Welt nicht als postdramatisch. Sondern als sehr kohärent“, sagt er dazu nur. Was freilich zu Kämpfen führen kann, gerade auch mit Schauspielern. Wie unlängst noch, als er sich an den Kammerspielen des Deutschen Theaters Arthur Millers Drama „Alle meine Söhne“ vornahm und anfänglich partiell auf die Haltung traf, psychologischer Realismus sei doch keine Kunst. „Die größte Kunst ist, wenn ich nicht mehr sehe, wie ihr spielt“, hielt der Regisseur dagegen.

Er wäre ja fast selbst Schauspieler geworden. Vontobel, in Zürich geboren, im Alter von 14 mit den Eltern nach Südafrika auf eine Farm in der Nähe von Johannesburg gezogen und mit den eher schrägen Filmen der örtlichen Videothek sozialisiert, ging zum Studium nach Amerika. Was ja passte zu seiner Faszination für dieses „genaue, Strassberg-mäßige: der Mensch!“ Er landete in Los Angeles, hatte 30 Castings am Tag „für irgendwelchen Schrott“, verdiente Geld in einem Theater für Rentner in Orange County, riss zwei Shakespeare-Stücke in vier Wochen runter und fragte sich unentwegt: Wofür mache ich das hier? Die Antwort kam nie, Vontobel ging. Studierte, nach erster begeisternder Erfahrung mit einer Inszenierung von Gorkis „Sommergästen“ in den USA, in Hamburg Regie. Nicht lange, und er wurde zum „Regiewunderkind“ hochgejazzt.

„Das hat geholfen, weil es das Ego aufgebaut hat. Und geschadet, weil man umso tiefer fallen kann“, sagt er im Rückblick. Die Feuertaufe stand er durch, als seine Inszenierung von Grabbes „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ 2006 in Salzburg nicht nur verrissen, sondern geschlachtet wurde. Es war kein Karriereknick, er wurde aufgefangen, von Förderern wie Frank Baumbauer. Aber es war auch kein notwendiger Dämpfer, denn Vontobel drohte nie abzuheben.

Mitten in die Probenzeit von „Don Carlos“ fiel die Geburt seines Sohnes. Vontobel sagt, das habe seinen Blick auf das Theater noch einmal verändert. Dass es nicht immer ein bacchisches, orgiastisches, allumfassendes Eintauchen bedeuten müsse. Es sei wichtig, nicht den Kontakt zum Leben zu verlieren, sagt er. Vontobel blickt auf die Rückseite des Bochumer Schauspielhauses. „Das macht das Theater reicher, nicht ärmer – wenn es ein Draußen gibt.“

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