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Kultur: Nackte Eva aus dem Depot Die Gemäldegalerie stellt ein vergessenes Renaissance-Meisterwerk vor

An der Größe liegt es nicht, wenn kaum ein Mensch dieses Meisterwerk kennt. Über drei Meter breit ist das Gemälde von Guillaume de Marcillat, das die Gemäldegalerie aus dem Depot ans Licht befördert hat.

An der Größe liegt es nicht, wenn kaum ein Mensch dieses Meisterwerk kennt. Über drei Meter breit ist das Gemälde von Guillaume de Marcillat, das die Gemäldegalerie aus dem Depot ans Licht befördert hat. Über 70 Jahre war das Werk nicht zu sehen. 1939 hatte man es in den Luftschutzkellern auf der Museumsinsel in Sicherheit gebracht. Dort setzten heftige Klimaschwankungen der riesigen Holztafel so zu, dass jahrzehntelang kaum jemand wagte, das Bild auch nur zu bewegen. Jetzt haben Restauratoren die fragilen Malschichten gesichert, ohne allerdings die Narben der Geschichte zuzukleistern. Quer durch das Gemälde zieht sich ein grober Riss. Aber die Farben wirken erstaunlich frisch.

Eine nackte Eva räkelt sich mitten im Bild lässig auf grünem Rasen: ein hüllenloser Blickfang in Lebensgröße. Die beidseitig versammelten Kirchenlehrer schenken der Sündigen keinen Blick. Sie sind in erregte Debatten vertieft. Mit energischen Gesten und bohrenden Blicken bringen die Theologen ihre Statements vor. Worüber sie diskutieren, lässt sich unten auf der Sockelzone nachlesen: Wie kann es sein, dass Maria als einziger Mensch frei von der Erbsünde blieb, die seit Evas Sündenfall die Ehre der Frauen befleckte? Eine theologisch diffizile Angelegenheit, die Gelehrten seit dem Mittelalter Kopfzerbrechen bereitete. Die Franziskaner kämpften leidenschaftlich für die Unbeflecktheit der „Immaculata“, die rationaler eingestellten Dominikaner blieben skeptisch. Erst im 19. Jahrhundert wurde das Dogma vom Papst offiziell anerkannt.

Marcillats Gemälde ist also auch ein Stück theologische Bildpropaganda – ins Bild gesetzt mit unverblümt voyeuristischen Reizen. Wie andere Künstler das Thema anpackten, zeigt die Gemäldegalerie mit ein paar eigenen Werken von Battista Dossi bis Tintoretto auf. Dem Renaissance-Vitenschreiber Giorgio Vasari gefiel Marcillats Gemälde. Er lobte, die Gewänder seien „sehr gut ausgeführt“ und die Köpfe „unglaublich lebendig und schön“. Vasari musste es wissen: Er selbst war in seiner Heimatstadt Arezzo bei dem aus Frankreich eingewanderten Guillaume de Marcillat in die Lehre gegangen. Dieser war eigentlich ein Spezialist für Glasmalerei. Bis heute strahlen seine lebhaft erzählten, farbkräftigen Glasfensterszenen im Dom von Arezzo.

Sein um 1528 entstandenes Berliner Gemälde ist eines von nur zwei erhaltenen Tafelbildern seines Oeuvres weltweit. Und es birgt Guillaume de Marcillats Selbstbildnis: In Gestalt des Philosophen Origenes hat sich der Künstler halb nachdenklich, halb melancholisch mit ins Bild gemalt. Elke Linda Buchholz

Bis 11. Mai 2014, Di–Fr 10–18, Do bis 20 Uhr, Sa und So 11–18 Uhr

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