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So anders wie alle. Seit 2003 lebt die Deutsch-Iranerin Cymin Samawatie um die Ecke vom Gleisdreieck-Park.

© David Heerde

Nächte des Ramadan in Berlin: Babylons Tochter

Beim Festival Nächte des Ramadan tritt Jazzsängerin Cymin Samawatie mit ihrem Weltorchester auf. Eine Begegnung.

Wenn das nicht babylonisch ist. Persisch, Hebräisch und Arabisch erklingen gemeinsam, drei unterschiedliche Kulturen vereinen sich zu einem Chor. Es ist ein musikalisches Sprachgewirr, sagt Cymin Samawatie, wenn sie das Orchesterprojekt „Diwan der Kontinente“ beschreibt. Eigentlich ist Samawatie Jazz-Sängerin, ihr Quartett heißt Cyminology. Eine zierliche und zurückhaltende Frau. Aber sobald sie über die Musik und das Weltorchester spricht, mit dem sie am Mittwoch bei „Die Nächte des Ramadan“ im Heimathafen Neukölln auftritt, gewinnen ihre Sätze an Tempo.

In Hannover hat Samawatie Musik auf Lehramt studiert. Anschließend ging sie nach Berlin, um an der Universität der Künste noch ein Jazz-Studium anzuhängen. In den ersten Jahren pendelte Samawatie noch. 2003 ist sie dann ganz hergezogen. Mit Mann und Tochter lebt sie in einer geräumigen Altbauwohnung, die nur wenige Minuten vom Potsdamer Platz entfernt ist. Der neue Park am Gleisdreieck ist gleich um die Ecke. Neben ihren Auftritten als Musikerin komponiert und unterrichtet sie.

Was Cymin Samawatie mit „Diwan der Kontinente“ vor hat, ist ein Kompositionsexperiment: Die Musiker kommen aus der ganzen Welt. Aus Europa, dem Nahen Osten, sogar aus Asien. Geige, Bratsche und Cello erklingen gemeinsam mit Instrumenten wie türkische Kavalla, arabische Oud oder dem chinesischen Sheng. Dominik Wollenweber von den Berliner Philharmonikern spielt die Oboe. Die Japanerin Naoko Kikuchi greift zum traditionellen Koto, das ist eine mit Seide bespannte Zither. Der sibirische Multi-Instrumentalist Vladiswar Nadishana kann mit seinem Duduk, einem armenischen Holzblasinstrument alles nachspielen. Noten kann er jedoch nicht lesen, Nadishana spielt ausschließlich nach Gehör.

Der Ramadan sei genau die richtige Zeit für diesen Auftritt, sagt Samawatie. Der Fastenmonat mit dem abendlichen Fastenbrechen stehe für eine Verschiebung des Blicks und Begegnungen mit anderen: „Man hat mehr Zeit, weil man tagsüber nichts isst. Und der Fokus des Alltags verändert sich, wenn abends alle zusammenkommen“, erzählt sie. Samawatie selbst ist Deutsch-Iranerin und nicht muslimischen Glaubens. Am Fastenbrechen hat sie erst einmal teilgenommen.

Die Sängerin lebt zwischen zwei Kulturen. Ihre Eltern kamen vor mehr als 50 Jahren nach Deutschland. Erst zog der Vater zum Ingenieursstudium nach Braunschweig. Die Mutter lernte er erst einige Jahre später im Iran kennen, sie folgt ihm 1973 nach Deutschland. Samawatie selbst ist in Braunschweig geboren und aufgewachsen. Nur in den Sommerferien flog sie jedes Jahr mit ihren Eltern nach Teheran und besuchte die Verwandten. Zu Hause fühlte sie sich in keiner der beiden Städte. In Braunschweig war ihr Haar zu schwarz, ihre Haut zu dunkel. Und auch im Iran blieb Samawatie fremd. Sie spricht zwar fließend Persisch, doch mit Akzent. „Als ich jung war spürte ich vor allem die Trennung. Ich war weder das eine noch das andere. Weder Deutsche noch Iranerin“, sagt sie. Heute sieht die 38 Jahre alte Musikerin nicht mehr das Trennende, sondern das Verbindende. Einen Raum von Möglichkeiten. Um diesen Raum zu finden, half ihr auch der Umzug nach Berlin. Hier fühlt sie sich das erste Mal wohl. „Anders zu sein ist in Berlin normal und Unterschiede selbstverständlich“, sagt Samawatie. Auch das Projekt eines Weltorchesters scheint ihr nur hier möglich zu sein. Nur hier gebe es diese Offenheit unter Musikern. „Die Wiener Philharmoniker hätten mich wohl nicht gefragt, ob ich mit ihnen auftrete.“

Die Berliner Philharmoniker schon. Vor drei Jahren luden acht Philharmoniker acht weitere Musiker zu dem Projekt „Klangwelten der Kulturen“ ein. Cymin Samawatie war als Sängerin dabei. Ihre Stimme ein feiner, aber kräftiger Mezzosopran. Die Idee eines interkulturellen Weltorchesters lässt sie seitdem nicht los. Inzwischen ist sie längst nicht mehr nur als Sängerin dabei. Zusammen mit ihrem Kollegen Ketan Bhatti komponiert sie die aufgeführten Stücke auch. Obwohl, Samawatie zögert und schiebt schnell das Wort „arrangiert“ hinterher. Sie komponiert nicht im klassischen Sinne. Samawatie setzt keine Harmonien, sondern sie montiert eine Partitur. Dafür ließ sie sich von den Künstlern unterschiedliche Improvisationen zuschicken. Diese akustischen Fragmente fügte sie dann zu einer Komposition zusammen.

Ging das Projekt vor drei Jahren vor allem um die Begegnung mit dem kulturell Anderen, so hat sich das Konzept unter der Leitung von Samawatie und Bhatti weiterentwickelt. Damals sollten die Musiker aus ihrer eigenen Welt heraustreten und ihre musikalischen Traditionen verlassen. Inzwischen geht es beim gemeinsamen Musizieren darum, die unterschiedlichen Stile der Künstler zu erhalten. Niemand soll sich im Rhythmus des anderen verlieren.

„Jeder Musiker soll einen Moment bekommen, in dem er strahlt und seinen Charakter zum Leuchten bringt“, sagt Samawatie. Gerade durch die Unterschiede entstehe so etwas Gemeinsames. So wie die auf Persisch, Hebräisch und Arabisch erklingenden Gesangsstimmen schließlich ins Deutsche übergehen, so vereinen sich am Ende auch die unterschiedlichen Klangwelten zu einer Komposition. Aus dem babylonischen Sprachgewirr wird ein verständlicher Gesang und aus den Improvisationen ein interkulturelles Klangerlebnis. Aus Distanz Nähe schaffen, das ist es, was Cymin Samawatie und ihr Weltorchester machen.

„Diwan der Kontinente“ im Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Straße 141, Mittwoch, 7. August, 20 Uhr

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