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Kultur: Nahost: Auge um Auge

Der israelische Journalist Gideon Levy nennt sie schlicht "Kriegsverbrechen": Die Zerstörung von etwa 50 Wohnhäusern in Rafah im Süden des Gaza-Streifens durch die israelische Armee. Dies geschah als Reaktion auf den Überfall der islamistischen Hamas auf einen Militärstützpunkt.

Der israelische Journalist Gideon Levy nennt sie schlicht "Kriegsverbrechen": Die Zerstörung von etwa 50 Wohnhäusern in Rafah im Süden des Gaza-Streifens durch die israelische Armee. Dies geschah als Reaktion auf den Überfall der islamistischen Hamas auf einen Militärstützpunkt. Dabei waren am Mittwoch vergangener Woche vier Soldaten getötet worden. Levys Berufskollege bei der israelischen Tageszeitung "Haaretz", der Militärexperte Zeev Schiff, spricht von einem Akt "unverhohlener Skrupellosigkeit".

Der spanische Außenminister Josep Piqué erklärte der arabischen Zeitung "Al-Hayat" am Sonntag vor Beginn einer Nahostreise, die Hauszerstörungen seien "in keiner Weise zu rechtfertigen" und hätten nichts mit dem Kampf gegen Terrorismus zu tun. Sogar israelische Minister der Labour-Partei kritisierten öffentlich die Zerstörungsaktion. Außenminister Schimon Peres forderte "vollständige Aufklärung", sein Parteikollege, Kulturminister Matan Vilnai, erklärte, Israel könne es sich nicht erlauben, "blind zuzuschlagen". Nur US-Außenminister Colin Powell bezeichnete die Hauszerstörungen als "Verteidigungsakt".

Die israelische Armee hatte die Wohnhäuser am Sonnabend mit Bulldozern völlig zerstört. Nach Angaben des UN-Flüchtlingswerks UNWRA wurden 54 Häuser dem Erdboden gleichgemacht, etwa 510 Menschen wurden mitten im Winter obdachlos. Die israelische Arme rechtfertigt die Aktion damit, dass unter einigen der Häuser, die direkt an der Grenze zu Ägypten liegen, Tunnel zum Waffenschmuggel angelegt gewesen seien. Bisher ist kein Zusammenhang mit dem Überfall auf den israelischen Armeeposten bekannt, infolge dessen die Zerstörung angeordnet wurde. Da von dem "Racheakt" ausschließlich Zivilisten betroffen sind, sieht der israelische Journalist Gideon Levy einen eindeutigen Verstoß gegen die Genfer Konvention.

Altbekannte Taktik

Das Ausmaß der Zerstörung und der nicht einmal lose Zusammenhang mit vorangegangenen Angriffen macht die Tat zu einem neuen Höhepunkt einer altbekannten israelischen Taktik. Das Abreißen von palästinensischen Wohnhäusern ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der israelischen Politik. Meist wurden Häuser von Familien niedergerissen, von denen ein Mitglied für Anschläge auf Israelis verantwortlich gemacht wurde. Diese Art der Kollektivstrafe, wo eine gesamte Familie ohne jedes Gerichtsverfahren für die mögliche Straftat eines einzelnen Familienmitglieds bestraft wird, wurde auch von Menschenrechts- und Friedensgruppen in Israel immer wieder kritisiert - und ungehindert fortgesetzt. Seit einem Jahr wurden im Gaza-Streifen zudem systematisch Häuser und Plantagen zerstört, die rechts und links der Straßen lagen, welche die jüdischen Siedlern benutzen. Damit sollen Angriffe auf die Siedler verhindert werden, lautet die offizielle Erklärung. Allein im Grenzort Rafah wurden in diesem Jahr 200 Wohnhäuser abgerissen. Vor einer Woche waren in Rafah fünf Kinder getötet worden, als das Zelt Feuer fing, in dem die Familie nach der Zerstörung ihres Hauses Unterschlupf gefunden hatte.

Gideon Levy bezeichnete es als besonders "geschmacklos", dass angeblich die israelische Militäreinheit, die bei dem Hamas-Angriff vergangene Woche vier Mitglieder verlor, an der Zerstörung der Palästinenser-Häuser beteiligt war - ein weiterer Beweis für den israelischen Journalisten, dass es sich um einen simplen Racheakt handelt.

Auf den Anschlag auf den israelischen Militärposten, der eine etwa dreiwöchige Waffenruhe beendete, reagierte die israelische Regierung außerdem mit der demonstrativen Zerstörung von symbolischen Orten der Autonomiebehörde. Dazu zählt vor allem der Flughafen Gaza, der die palästinensischen Hoffnungen auf einen unabhängigen Staat repräsentiert, dessen Landebahn die israelische Armee ebenso zerstörte wie Einrichtungen im Hafen von Gaza, darunter ein palästinensisches Patrouillenboot. Diese Zerstörungen folgen dem israelischen Erklärungsmuster, dass der Präsident der Autonomiebehörde, Jassir Arafat, persönlich verantwortlich ist für jeden Anschlag und daher mit der Zerstörung der PNA-Einrichtungen bestraft wird. Da der Flughafen von Hilfsgeldern der Europäischen Union mit finanziert wurde, hat die Zerstörung der Anlage bei den Europäern Unmut ausgelöst.

Gerhorsam verweigern

Die israelische Friedensbewegung "Gush Shalom" hofft, dass die neuesten Hauszerstörungen eine Debatte über die Illegalität solcher Aktionen auslösen werden. Die Gruppe hatte in der vergangenen Woche, kurz vor den Ereignissen, ein Treffen organisiert, bei dem der frühere israelische Kampfpilot Yigal Shochat Luftwaffenpiloten dazu aufrief, den Gehorsam zu verweigern, wenn von ihnen verlangt wird, zivile Ziele zu bombardieren oder verdächtige Palästinenser per Rakete zu ermorden. Der Jura-Professor der Universität Tel Aviv, Eyal Gross, hatte bei der Veranstaltung erklärt, der Befehl, mit einem Bulldozer ein ziviles Gebäude zu zerstören, sei rechtswidrig. Israelische Soldaten hätten völkerrechtlich und laut israelischem Militärcode vielmehr die Pflicht, solche Befehle nicht auszuführen. Bisher ist kein Fall bekannt, in dem ein israelischer Soldat dies getan hätte.

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