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Kultur: Nahost: Warum sind in Israel alle paranoid, Herr Sobol?

Joshua Sobol, Autor der Theaterstücke "Ghetto" und "Die Palästinenserin", wurde 1939 in Israel geboren und ist heute er bekannteste Dramatiker seines Landes. Sein erster Roman "Schweigen" erschien letztes Jahr auf Deutsch, sein neuestes Stück "Crocodiles" wurde jüngst in Tel Aviv und Haifa mit großem Erfolg vor arabischem und jüdischem Publikum aufgeführt.

Joshua Sobol, Autor der Theaterstücke "Ghetto" und "Die Palästinenserin", wurde 1939 in Israel geboren und ist heute er bekannteste Dramatiker seines Landes. Sein erster Roman "Schweigen" erschien letztes Jahr auf Deutsch, sein neuestes Stück "Crocodiles" wurde jüngst in Tel Aviv und Haifa mit großem Erfolg vor arabischem und jüdischem Publikum aufgeführt.

Herr Sobol, Sie sind als Schriftsteller bekannt, der unpopuläre Ansichten zur politischen Situation Israels nicht scheut. Seit einiger Zeit schweigen Sie. Glauben Sie nicht mehr an die Kraft der Vernunft?

Wenn man zwei Gegner mit akutem Verfolgungswahn vor sich hat, werden diese schon den bloßen Versuch, vernünftig mit ihnen reden zu wollen, als bösartiges Bestreben verstehen, ihre lebensnotwendige Wachsamkeit zu betäuben. In der augenblicklichen Phase des Konflikts ist leider genau das der Geisteszustand sowohl der Israelis als auch der Palästinenser. Als Arafat beim Gipfel von Camp David Baraks Angebot abgelehnt hat und dem eine Welle des Terrorismus folgte, glaubte die Mehrheit der Israeli, Arafat sei jetzt die Maske vom Gesicht gerissen, und das eigentliche Ziel der Palästinenser, nämlich Israel Schritt für Schritt zu zerstören, trete zutage. Auf der anderen Seite glaubt die Hamas - unterstützt von der Hisbollah und dem Iran -, dass der große Teufel USA den kleinen Teufel Israel benutzt, um die islamische Zivilisation im kommenden Krieg der Zivilisationen zu besiegen. Sie werten daher jede Initiative, mit Israel Frieden zu schließen, als Versuch, sie einzuschläfern, um sie zu liquidieren. Zwei so paranoiden Gegnern Vernunft reden zu wollen, hieße, Öl ins Feuer gießen.

Ehud Barak machte Arafat mehr Zugeständnisse als alle Politiker vor ihm. Warum hat er abgelehnt? Warum die Wiederbelebung der Intifada?

Ich glaube, Arafat hat die Situation falsch eingeschätzt. Er glaubte, die israelische Regierung mit Gewaltaktionen dazu bringen zu können, den Palästinensern noch mehr Zugeständnisse zu machen. Auch der Rückzug Israels aus dem Libanon war eine Fehleinschätzung: Die Hisbollah prahlte damit, den Abzug der israelischen Armee bewirkt zu haben, und die Palästinenser glaubten es. Tatsächlich aber hatte der Druck der eigenen Bevölkerung unsere Regierung zum Rückzug gezwungen. Vielleicht träumte Arafat auch davon, seinen Staat durch einen Unabhängigkeitskrieg zu erringen, anstatt ihn am Verhandlungstisch zu bekommen. Ja, er hat die Relevanz der öffentlichen Meinung in einem demokratischen Staat wie Israel nicht begriffen, und er hat das libanesische Kapitel nicht richtig gelesen.

Hatte Arafat seinen Kredit als Staatsmann also ohnehin längst verspielt?

Möglicherweise ist Arafat nicht der Richtige, um eine Nation aufzubauen und einen Staat zu gründen. Ganz sicher ist er kein Ben Gurion, der bereit war, jedes Angebot zu akzeptieren und jeden Kompromiss einzugehen, um die Staatsgründung zu erreichen. Aber Ben Gurion hatte all das, was ein Vater und Gründer eines Staates haben muss. Arafat hat leider nur, was nötig ist, um die Farce einer Staatsgründung zu spielen. Sehen Sie sich das lächerliche Getue um sein theatralisches Militärkostüm und die Keffia an, die er sorgfältig um Kopf und Schultern drapiert, damit sie die Karte des palästinensischen Mandats nachbildet, und Sie erkennen den Schauspieler-Charakter des Mannes.

Scharon wiederum hatte mit seinem provokativen Besuch auf dem Tempelberg seinen Anteil am Aufleben der Intifada. Warum wurde er trotzdem gewählt?

Scharon verdankt seine Macht einzig und allein Arafat. Zum Zeitpunkt von Camp David wären mehr als 60 Prozent der Israeli bereit gewesen, die besetzten Gebiete zurückzugeben und Konzessionen für Jerusalem zu machen, wenn Arafat Baraks Vorschlag angenommen hätte. In dem Moment, als die palästinensischen Organisationen begannen, aus Zivilisten Zielscheiben zu machen und mit Hilfe von Selbstmordattentätern so viele wie möglich zu töten, hat diese Mehrheit ihr Vertrauen in Arafat verloren und sich Scharon zugewandt. Dabei steht Scharon für das Gegenteil dessen, was Barak, Peres und die Architekten des Osloer Abkommens sich einmal vorgenommen hatten.

Was will Scharon erreichen? Er kann nicht ernsthaft glauben, in die Knie gezwungene Palästinenser würden den Frieden sichern.

Scharon möchte den Friedensprozess verlangsamen und zerteilen: Stückchen von Land gegen Stückchen langsam wachsender Normalisierung. Die bittere Pille, als Premier alle besetzten Gebiete zurückgeben zu müssen, sollen dann seine Nachfolger schlucken. Israelis und Palästinenser werden auf andere Politiker warten müssen, um das zu bekommen, was sie schon im Herbst 2000 hätten haben können: einen Palästinenserstaat auf 95 Prozent der Westbank und dem Gaza-Streifen. Jetzt zahlen die Palästinenser einen hohen Preis für den historischen Irrtum ihres Führers.

Sind Itzhak Rabins Visionen denn für immer vergessen?

Seine Visionen sind nicht vergessen. Sowie die Palästinenser den Terror einstellen, wird die Mehrheit der Israeli bereit sein, ein Friedensabkommen zu verhandeln, das auf Rabins Visionen und Baraks Angeboten beruht. Nicht mehr und nicht weniger. Man wird sehen, dass die letzte Intifada - mit all den Morden an Zivilisten - nichts anderes war als ein Kriegsverbrechen. Es ist an der Zeit, Terror gegen die Zivilbevölkerung als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu definieren und die Anführer der Terror-Organisationen vor den Internationalen Gerichtshof nach Den Haag zu bringen.

Wo ist die israelische Linke, die an dem Abend, als Rabin ermordet wurde, die Friedensbewegung gefeiert hat?

Die so genannte Al Aqsa Intifada bescherte der israelischen Linken ein böses Erwachen. Dennoch, sie ist noch da und wartet darauf, dass die sinnlose Gewalt sich selbst besiegt. Dann werden wir zurückkommen, mit eben den Angeboten, die Barak vor 18 Monaten in Camp David unterbreitet hat.

Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Aufleben der Intifada und der Abwahl von Clinton beziehungsweise der Wahl Bushs als Präsident der Vereinigten Staaten?

Oh, ja. Aber vergessen wir auch nicht das bedeutsame Timing der arabischen Staaten für ihren Friedensplan. Ich glaube, die gemäßigten arabischen Regierungen fangen an, vor Angst zu zittern, weil sie sich der destruktiven Kräfte in der muslimischen Welt bewusst werden, die einen Krieg der Zivilisationen anstreben. Ich denke, alle derzeitigen diplomatischen Aktivitäten sollten von dieser furchteinflößenden Perspektive her gesehen werden. Wenn die zerstörerischen Kräfte nicht schnell neutralisiert werden, bewegt sich die Welt auf ein Desaster zu.

In Ihrem Stück "Das Jerusalem Syndrom" zitieren Sie den historischen Massenselbstmord jüdischer Fundamentalisten, der Zeloten, auf dem Berg Massada, um sich der Übermacht der Römer nicht zu beugen. Stehen wir jetzt unmittelbar vor einem neuen Massada?

Ich glaube nicht. Wir haben Zeloten auf beiden Seiten, und die Amerikaner spielen in diesem Stück die Römer. Entweder entscheiden wir uns für eine Periode der Pax Americana oder für etwas, das der Philosoph Moses Hess bereits im 19. Jahrhundert in einer seltsamen Vision als künftigen Weltkrieg der Rassen vorhergesehen hat.

Jeder Tote zieht eine Schar von Trauernden und potenziell Hassenden nach sich. Gibt es noch eine Chance bei so vielen Morden?

Palästinenser und Israelis werden des Blutvergießens zunehmend müde. Dieses Gefühl der Erschöpfung wird für den Frieden erreichen, was der Vernunft nicht gelingt.

Wenn es eine Chance gibt, welchen Weg sollte man einschlagen?

Der 11. September hat uns gezeigt, wozu der Terrorismus fähig ist. Das sollte die Welt in einen Zustand äußerster Alarmbereitschaft versetzen. Man weiß schließlich, dass eine kleine Gruppe von Selbstmordattentätern in Nullkommanichts eine Pest-Epidemie verbreiten kann. Wenn das geschieht, wird kein Land verschont bleiben. Wenn aus der Welt ein globales Dorf wird, so braucht dieses Dorf eine weltweit legitimierte globale Regierung. Wir sind davon so weit entfernt wie zu Immanuel Kants Zeiten, doch sein Entwurf vom Ewigen Frieden, den er in der gleichnamigen Schrift skizzierte, ist noch lebendig. Und die Notwendigkeit einer solchen Weltordnung wird immer dringlicher.

Herr Sobol[d], Sie sind als Schriftsteller bekannt[d]

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