zum Hauptinhalt

Nahostkonflikt: Kindertheater zwischen den Fronten

Dreimal bereits wurde die Eingangstür des Kindertheaters im Flüchtlingslager in Brand gesetzt. Wie das "Freiheitstheater" im palästinensischen Jenin um seine Existenz kämpft.

Zwei Clowns blicken auf die Besucher des Freedom Theater in der palästinensischen Kleinstadt Jenin. Der eine lacht, der andere weint. Dreimal bereits wurde die Eingangstür des Kindertheaters im Flüchtlingslager in Brand gesetzt, und in einer benachbarten Moschee verteilte man ein Flugblatt mit folgender Warnung an den Theaterdirektor Juliano Mer Khamis: „Dieser Zionist hetzt unsere Kinder gegen ihre Eltern auf und setzt die Besatzung mit unserer gerechten Religion gleich. Die Eltern sollen ihre Kinder aus diesem zionistischen Theater nehmen. Wenn wir sie nicht mit Worten schützen können, werden wir das mit der Sprache der Kugeln tun.“

Die anonymen Erpresser fordern die Schließung des Theaters und die Ausweisung des Direktors. Sie beziehen sich auf ein Interview, das Mer Khamis bereits im November 2006 in Berlin geführt hat. Darin erklärte der erklärte Anti-Zionist, er hätte den Namen „Freiheitstheater“ deshalb gewählt, weil er an diesem Ort den Kindern „ein Stück Leben und Normalität“ geben wolle. Sie sollten sich nicht nur von der Besatzung frei fühlen, sondern auch von der täglichen Unterdrückung durch ihre Eltern und von falschen Interpreten des Islam, die meinen, ihre Religion verbiete die Kultur und das Theater.

Wie kommt ein Israeli dazu, sich freiwillig in einem palästinensischen Flüchtlingslager in einer belagerten Stadt niederzulassen und dort ein Theater zu gründen? Der Sohn einer jüdischen Mutter und eines arabischen Vaters baute das alte Theater wieder auf, das seine Mutter Arna dort gegründet hatte. Als Ende 1987 die erste Intifada begann, schloss die israelische Armee alle Schulen in Jenin. Arna Mer Khamis, Lehrerin aus Haifa und aktive Kommunistin, reiste ins Flüchtlingslager. Zusammen mit israelischen Freiwilligen unterrichtete sie palästinensische Kinder in Privathäusern. Für ihr Engagement wurde sie 1993 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Mit dem Preisgeld gründete sie das erste Kindertheater im Flüchtlingslager Jenin, wo Juliano, damals ein junger Schauspieler, Theaterworkshops leitete.

Nach dem Tod seiner Mutter 1995 hat Juliano das Kindertheater noch zwei Jahre am Leben erhalten, dann trat er aus Protest gegen die Einmischung durch die Palästinenserbehörde zurück, das Theater wurde geschlossen. Im Herbst 2000 brach die zweite Intifada aus. Auch Arnas Kinder griffen zu den Waffen. Youssef tötete bei einer Selbstmordaktion im Jahr 2001 vier israelische Frauen. Als Reaktion auf die zahlreichen Mordanschläge besetzte die israelische Armee Jenin erneut und führte einen blutigen Kampf im Flüchtlingslager. Wenige Tage nach dem Ende des Kampfes kehrte Juliano dorthin zurück, traf die ehemaligen Theaterkinder und drehte 2004 den Dokumentarfilm „Arnas Kinder“, um die palästinensischen Militanten, auch die Terroristen, als Menschen darzustellen.

„Arnas Kinder“ wurde ein internationaler Erfolg. Der Film inspirierte schwedische Friedensaktivisten so sehr, dass sie beschlossen, im Flüchtlingslager ein neues Kindertheater zu gründen. Sie wandten sich an Juliano Mer Khamis, der als Arnas Sohn im Lager beliebt und geschätzt ist. In vielen Wohnzimmern hier hängt das Foto seiner verstorbenen Mutter. Seitdem leitet er das im Februar 2006 eingeweihte neue und moderne Theater.

Fünf europäische Freiwillige betreuen täglich fünfzehn verschiedene Kindergruppen, die auch durch Video- und Fotoarbeit ihr Leben künstlerisch betrachten. 2008 kamen 17 000 Besucher aus der ganzen Gegend ins Theater, das zusammen mit der benachbarten neuen Arab American University eine eigene Theaterschule betreibt und an Kindertheaterfestivals in Europa teilnimmt. 3000 Kinder sahen bereits die neue Produktion, George Orwells „Animal Farm“, in der die Alkohol trinkenden, korrupten Schweine an die palästinensischen Sicherheitskräfte erinnern. „Das Theater in Ramallah hatte Angst, uns dort Proben zu erlauben“, sagt Mer Khamis. Die palästinensische Kulturstiftung verweigerte ihm jegliche finanzielle Hilfe.

Die anonymen Drohungen gegen das Theater und die Forderung nach seiner Schließung haben mit der neuen Produktion nichts zu tun, davon ist der Theaterchef überzeugt. Eher sei das Theater Zielscheibe der Frustration über die Palästinenserbehörde. Ihre Sicherheitskräfte haben die 35 000-Einwohner-Stadt Jenin im Norden des Westjordanlandes fest in Griff. Weil seit drei Jahren keine Anschläge von Jenin ausgegangen waren, hob die Armee einige Checkpoints auf, und Israelis dürfen wieder nach Jenin, jedoch nur zu Fuß. Im Herbst 2009 soll mit deutscher Förderung das erste Kino in Jenin eröffnet werden. Sogar ein gemeinsames israelisch-palästinensisches Kinderorchester ist dort in Planung, ein Projekt von Dany Atar, Direktor des israelischen Landkreises Gilboa und des Gouverneurs von Jenin, Kadura Mussa. Im Flüchtlingslager drehte Marcus Vetter seinen Film „Das Herz von Jenin“ (Tagesspiegel vom 3. Mai), der jetzt in Berlin im Kino läuft.

Die Brandanschläge auf das Kindertheater und das Kindermusikzentrum Al Kamandjati, das seine Aktivitäten einstellen musste, sind palästinensische Reaktionen auf die zunehmenden kulturellen Aktivitäten in Jenin, so vermutet Mer Khamis. „Manche säkularen Gruppen sehen darin eine Ablenkung vom Widerstand gegen die Besatzung. Die wiederholten israelischen Militäroperationen im Flüchtlingslager mit Duldung der Palästinenserbehörde, die Erniedrigungen an den Checkpoints, Kollektivstrafen, Schikanen militanter Siedler und der Stillstand im Friedensprozess führen zu Hoffnungslosigkeit, Frustration und Wut. Die Menschen hier fühlen sich unsicher und sind angespannt“, sagt Mer Khamis.

Er hat Angst, aber an Weggehen denkt er nicht. In einer Pressekonferenz trat er kürzlich gemeinsam mit Zakaria Zbeidi auf, früher einer von „Arnas Kindern“ und Chef der lokalen Miliz und immer noch der starke Mann im Flüchtlingslager. Zbeidi versicherte, er werde gegen die Gewalttäter einschreiten und das Theater verteidigen. „Die jetzige Krise“, sagt Mer Khamis, „hilft uns insoweit, dass wir nun wissen, wer auf unserer Seite steht.“ Mit dem lachenden Clown arbeitet er an der neuen Inszenierung, „Geschichten aus dem Camp“. Im September soll das „Freiheitstheater“ damit in Berlin gastieren.

Igal Avidan

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false