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Die amerikanische Singer-Songwriterin Natalie Prass.

© Shawn Brackbill

Natalie Prass live in Berlin: Hilfe, mein Lover versteht mich nicht!

Die amerikanische Singer-Songwriterin Natalie Prass gab ein leidenschaftliches Deutschland-Debüt im Berliner Privatclub.

Von Jörg Wunder

Die schönsten Konzerterlebnisse sind ja oft diejenigen, die den eigenen Erwartungen komplett zuwiderlaufen. Etwa, wenn man sonntagabends restverstrahlt in die Volksbühne stapft, um sich gemütlich ins Gestühl zu fläzen – und von der schieren Großartigkeit der Young Fathers zum Veitstanzmarathon genötigt wird. Okay, denkt man sich, dann geht’s eben Montag zu Natalie Prass in den Privatclub, um sich zu einer gepflegten Songwriter-Performance mit Southern-Soul-Einschlag ins Abklingbecken zu legen. Und dann ist es doch wieder ganz anders.

Die 29-jährige Musikerin aus Richmond, Virginia stand bei ihrem allerersten Deutschlandauftritt vor der Herausforderung, die opulenten, mit bis zu zwei Dutzend Sessionmusikern eingespielten Arrangements ihres gefeierten Debütalbums in ein tourneekompatibles Format zu übertragen. Sie meistert diese Aufgabe bravourös, was sich neben der überragenden Souveränität ihrer drei Mitstreiter an Gitarre, Bass und Schlagzeug vor allem ihrer Bereitschaft zu echter Hingabe verdankt.

Natalie Prass beglückt ihre Fans

Während ihr Gesang auf Platte bei aller Schönheit auch eine gewisse Linearität und porzellanene Fragilität ausstrahlt, setzt sie ihre Stimme live unter Hochspannung: Sie presst mit halb geschlossenen Augen Songzeilen wie „I’ll break my legs / cause they want to walk to you“ („Violently“) hervor oder seelenstrippt sich glutvoll durch Tränenzieher wie „My Baby Don’t Understand Me“ oder „Bird Of Prey“, in denen sie die emotionalen Abgründe ihrer (hoffentlich fiktiven) Liebesbiografie ausleuchtet.

Fast jedes ihrer Lieder, auch die leichteren wie das ihrer in Deutschland lebenden Schwester gewidmete „Christy“, atmet den Geist künftiger Klassiker. Deren Qualität wird in diesen auf ihre Essenz eingekochten Versionen, die sich teilweise dramatisch vom Album unterscheiden, sogar noch deutlicher. Auch neu hinzukommende Stücke wie „Last Time“ sind sad as fuck, wie Prass kokett, aber zutreffend bemerkt. Es sei denn, sie brechen, wie das durch ein furioses Silbenstakkato auf höheres Tempo gepitchte „Jazz“, musikalisch zu neuen Ufern auf.

Motown kann sie auch

Bemerkenswert ist nicht nur ihr charmanter Umgang mit dem Publikum, sondern auch die Stimmung in der Band: Selten sieht man Profimusiker einander so innig, manchmal auch schelmisch zugrinsen wie diese vier hier. Nach eineinviertel lodernden Konzertstunden fragt Natalie Prass das freudetrunkene Publikum: „Do you like the Supremes?“ Auf das vielstimmige „Yes!“ schrammeln sich die vier in einer beherzten Garagen-Soul-Attacke durch das unsterbliche „You Keep Me Hangin’ On“. Motown kann sie also auch. Unglaubliche Frau!

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