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Kultur: Nationales Erbe

In der DDR-Architektur der fünfziger Jahren war die Tradition verbindlich.Eine Publikation beleuchtet diese kurze ÄraVON BERNHARD SCHULZDie Bauten an der einstigen Stalinallee stehen im vereinten Deutschland unter Denkmalschutz und werden entsprechend gepflegt - wenn auch die Hoffnung auf die alte Pracht an den exorbitanten Kosten scheitert.

In der DDR-Architektur der fünfziger Jahren war die Tradition verbindlich.Eine Publikation beleuchtet diese kurze ÄraVON BERNHARD SCHULZDie Bauten an der einstigen Stalinallee stehen im vereinten Deutschland unter Denkmalschutz und werden entsprechend gepflegt - wenn auch die Hoffnung auf die alte Pracht an den exorbitanten Kosten scheitert.So erleben die Bauten ihre eigene Vergangenheit ein zweites Mal - denn schon der Aufstand vom 17.Juni 1953, der hier seinen Ausgang nahm, signalisierte den ökonomischen Kollaps der hochgeschraubten Pläne und Normen. Da war die "erste sozialistische Magistrale" noch längst nicht fertiggestellt, und als die Arbeiten mit der Vollendung der beiden Torbauten am Frankfurter Tor 1960 zum Abschluß kamen, galt der historisierende Stil der Allee als überholt und wurde beinahe schamhaft übergangen.Es war nur ein kurzer Zeitabschnitt, in dem die "Pflege des nationalen Erbes" in der Architektur der DDR auf dem Programm stand.Er nahm seinen Ausgang mit der berühmt-berüchtigten Moskaureise von Baufachleuten im April/Mai 1950 und endete bereits ein halbes Jahrzehnt später mit der Übernahme der neuen Sowjetlosung "Besser, schneller, billiger bauen", die den industrialisierten Großplattenbau einläutete. Vor allem diesem Abschnitt ist das Forschungsvorhaben der Architekturhistoriker Werner Durth, Jörn Düwel und Niels Gutschow gewidmet.Vor knapp drei Jahren war in dem ruinösen Altbau der Akademie der Künste am Pariser Platz mit der von ihnen zusammengestellten Ausstellung "Architektur und Stadtplanung 1945 - 1960" bereits ein erster Überblick über das - unter anderem von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung unterstützte - Forschungsvorhaben zu sehen; freilich erweitert um die Sicht auf die westdeutsche Baugeschichte.Jetzt legen die Autoren ihre gesamten Ergebnisse in der monumentalen, zweibändigen Buchveröffentlichung "Architektur und Städtebau der DDR" vor; sie wird am kommenden Freitag während der Leipziger Buchmesse offiziell vorgestellt.Mit dieser mehr als 1100 Seiten umfassenden Publikation tritt die DDR-Baukunst - man darf es so emphatisch sagen - endgültig in das Bewußtsein des gemeinsamen Erbes ein, das der vereinten Bundesrepublik zu hüten aufgegeben ist. Den Autoren war es bereits seit den letzten jahren der DDR möglich, eine Reihe der Protagonisten der frühen Bautätigkeit zu sprechen und ihre Erlebnisse und Erfahrungen aufzuzeichnen.So haben sie sich entschlossen, den ersten Band des großformatigen Werkes unter dem Titel "Ostkreuz" den Lebenswegen zu widmen; freilich auf jene, Biografie und Zeitgeschichte miteinander verknüpfende Weise, wie es Durth/Gutschow bereits mit ihrem Buch "Deutsche Architekten.Biografische Verflechtungen" 1986 vorgemacht hatten.Das Buch löste damals in Fachkreisen ein veritables Beben aus; denn der Mythos von der "Stunde Null", die angeblich am Beginn des Wiederaufbaus schlug, löste sich unter den Forschungen der beiden Bauhistoriker in Wohlgefallen auf. Die Nachkriegszeit ist 1989/90 endgültig Geschichte geworden, und mit ihr der ideologische Krieg, der in den Wiederaufbaujahren zwischen Ost und West tobte.Der Gegensatz brach in den städtebaulichen Idealtypen auf und verdichtete sich in der Sprache der Architektur.Der unmittelbar nach Kriegsende noch gemeinsame Bezug auf die Zeit des "neuen bauens" vor 1933 wurde in der DDR zugunsten der Ausrichtung auf die sowjetische Siegermacht unterbunden.In Moskau sahen die Politker und Fachleute 1950 die gebaute Apotheose des Diktators im Zenit seiner Macht - und folgten den vom DDR-Ministerrat Ende Juli 1950 verkündeten "16 Grundsätzen des Städtebaus"."Die Stadt in einen Garten zu verwandeln, ist unmöglich", heißt es darin - stattdessen lautet die Forderung auf ein städtisches Zentrum als "politischer Mittelpunkt" mit den "wichtigsten und monumentalsten Gebäuden" und Plätzen für "politische Demonstrationen" und "Aufmärsche".Die Architektur der einzelnen Bauten aber müsse "dem Inhalt nach demokratisch und der Form nach national sein.Die Architektur verwendet dabei die in den fortschrittlichen Traditionen der Vergangenheit verkörperte Erfahrung des Volkes." Was das nicht heißen sollte, brachte Walter Ulbricht noch wenige Tage vor dem Ministerratsbeschluß beim III.Parteitag der SED auf den Punkt: "Wir wollen in Berlin keine amerikanischen Kästen und keinen hitlerischen Kasernenstil mehr sehen." Wie hingegen die "16 Grundsätze" zu befolgen waren, erwies sich hingegen als schwieriger.Die vorliegende Publikation benennt die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte, von denen aus sich sowohl konservative als auch modernistische Architekten dem "historischen Erbe" näherten, und sucht dieser eigenartigen, gleichzeitg rückwärts wie vorwärts gewandten Stilbildung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.Die Vorgaben der SED bezogen sich lediglich auf die städtebauliche Großform.So wurde 1952 für die neben Berlin mit seinem "Nationalen Aufbauprogramm" bevorzugten "Aufbaustädte" dekretiert: "Die Magistrale führt zum Zentralen Platz.An der Magistrale sind (...) außer den Gebäuden für die politischen, kulturellen und sonstigen Einrichtungen vorbildliche Wohngebäude mit Läden zu errichten." Das "fortschrittliche" Erbe illustrierte das in hoher Auflage verbreitete Buch "Deutsche Baukunst in zehn Jahrhunderten", aus dem sich Konservative wie Hans Hopp ebenso bedienen konnten wie der Poelzig-Schüler Richard Paulick, der ehemalige NS-"Luftwaffenbaurat" Kurt Leucht oder gar der begnadete Opportunist Hermann Henselmann.Für die repräsentativen Projekte, die nun an Dresdens Altmarkt, an Leipzigs Roßplatz oder Rostocks Langer Straße begonnen wurden, galt es, ortsspezifische Vorbilder zu finden und maßstäblich auf die geforderten Großbauten zu übertragen: "Dabei fiel es offenbar nicht immer so leicht wie in der norddeutschen Universitäts- und Hafenstadt" - schreiben die Autoren - "vorbildliche Bautraditionen auszuwählen, die eine ganze Region charakterisieren.Für Dresden war der Barock geradezu zwingend, doch schon für Magedeburg und Leipzig bot sich kein derart plakatives Vorbild." Die Lösung: "Fand sich keine kunsthistorisch herausragende Epoche, griff man vornehmlich auf den Klassizismus als universalen Traditionsspender zurück." Daß die DDR-Baupolitik damit an die Nazi-Zeit anknüpfte, sei nur am Rande erwähnt. Noch suchte die SED die Furcht vor standardisierten Bauten zu zerstreuen.Doch die wirtschaftlichen Engpässe ließen sich nicht länger schönreden.Eben noch hatte es im offiziösen "Handbuch für Architekten" geheißen, daß "die entscheidende Wendung von der rein materiell-funktionalistischen Befriedigung der Wohnbedürfnisse zur Befriedigung auch der kulturell-ästhetischen Bedürfnisse der Bewohner erfolgen" müsse, da kündigte sich die "Wende im Bauwesen" sich im Gewande eines Grundsatzreferates unter dem Titel "Über die Methode der Typenprojektierung" an.Die "kritische Aneignung des historischen Erbes" blieb eine Episode - freilich die, die den Städten der DDR wenigstens Fragmente eines individuellen Erscheinungsbildes beschert und damit ihrerseits ein bewahrenswertes Erbe hinterlassen hat. Es ist eine enorme Materialfülle, die die Autoren zusammengetragen haben.Die Parallelisierung von Biografien und Ereignisgeschichte, von Dokumentation und stilkritischer Würdigung läßt Überschneidungen und Doppelungen entstehen, die das zweibändige Werk zuallererst zu einer Quelle von Rang machen.Aus ihr wird schöpfen, wer sich zukünftig mit der Geschichte des Bauens in der DDR befassen will - und damit einem wichtigen Abschnitt der deutschen Architekturgeschichte. Werner Durth / Jörn Düwel / Niels Gutschow: Architektur und Städtebau in der DDR.Bd 1: Ostkreuz, 567 S., Bd.2: Aufbau, 560 Seiten.Frankfurt / New York, Campus Verlag 1998, 2 Bde.im Schuber 298 DM.

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