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Nationalgalerie: Eine deutsche Renaissance

Von 1945 bis 1968: Die Neue Nationalgalerie hat ihre Nachkriegssammlungen grandios neu sortiert.

Gute Ausstellungen erzählen Geschichten von der Kunst. Wie sie sich durchsetzt, leidet, kämpft, bis sie in den Kanon der Kunstgeschichte aufgenommen wird oder untergeht, durch Krieg, Vernichtung, so dass manchmal nur eine Schwarz- Weiß-Reproduktion übrig bleibt. Es sind die Geschichten der Künstler, der Menschen, die dahinterstehen. Vielleicht feiert gerade deshalb die Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ im Bode-Museum solche Triumphe, weil jedes einzelne Bild eine Person, ein Schicksal vor Augen führt.

Auch die Neue Nationalgalerie will erzählen, von ihrer Sammlung der Jahre 1945 bis 1968. Auf die knappe erste Jahrhunderthälfte der Bestandsausstellung unter dem Titel „Moderne Zeiten“ folgt nun Teil zwei der Trilogie im Mies van der Rohe-Bau. Nach dem augenzwinkernden Bezug auf Chaplins Klassiker nennt sich die neue Präsentation „Der geteilte Himmel“ in Anlehnung an Christa Wolfs Roman, der Geschichte eines Liebespaares aus Ost und West, das sich nicht entscheiden kann, in welchem Teil der Stadt es leben will. Schließlich trennen sich die beiden. Ein tragisches Ende.

Die Ausstellung zeigt einen Ausschnitt der Verfilmung von Konrad Wolf – jenen Moment, in dem die weibliche Figur erklärt, dass ihnen nicht einmal der Himmel als verbindendes Element bleiben werde, weil dieser sich als Erstes teilt. Dieselbe Melancholie umwebt die Schau der Neuen Nationalgalerie, denn die Teilung gilt auch für die Kunst. Auch auf ihrem Rücken wurden ideologische Kämpfe ausgetragen – ob nun in den Werken selbst oder in der Sammlungspolitik der beiden Nationalgalerien in Ost und West. Über zwanzig Jahre mussten nach dem Mauerfall vergehen und erst eine jüngere Kuratorengeneration nachrücken, um mit dieser Bürde angstfrei umzugehen und endlich aufzuzeigen, wie viel Verbindendes es trotzdem immer gab, dass sich die Künstler um die politischen Grabenkriege häufig wenig scherten.

Trotzdem stehen die Zeichen erst einmal auf Sturm. In der Mitte des Foyers ringt ein weißer Polizist von Duane Hanson einen Schwarzen brutal nieder – Gegenständlichkeit versus Abstraktion, die sich an der Wand, vertreten durch Josef Albers’ Hommagen an das Quadrat und Dan Flavins Neonröhren, des sozialistischen Realismus eines Willi Sitte zu erwehren sucht. Wie nahe sich die beiden Strömungen einst standen, offenbart der erste Saal. Bei dem figurativen Maler Heinrich Ehmsen zeigen sich im Hintergrund seiner „Wahnsinnigen Harlekine vor den Trümmern des Krieges“ abstrakte Strukturen, während umgekehrt aus den Bildern Wilhelm Nays Augen starren, wo es vordergründig nur um Farbe und Formen zu gehen scheint.

Dieser Einstieg ins triste Nachkriegsdeutschland vor grauer Wand, mit zwischen stählernen Stangen schwebenden Bildern, wie man es von der ersten Documenta kennt, ist furios, denn er feiert eine vergessene Zeit, fast vergessene Maler in einer phänomenalen Qualität. Gerade darin besteht das Dilemma der Neuen Nationalgalerie. Sie besitzt eine der erstaunlichsten Sammlungen in Europa, die sich gleichermaßen aus Ost und West speist, wo sonst Werke nur der einen oder anderen Provenienz erworben wurden – aber es fehlt an Platz.

Auf Seite 2: Manches kommt viel zu kurz

Die dreiteilige Präsentation der Bestände ist jeweils auf 18 Monate angelegt, und jedes Mal offenbaren sich angesichts der Fülle die Defizite. Wer heute nach Berlin für Kirchners „Potsdamer Platz“ anreist, der im ersten Teil der Trilogie zu sehen war, oder Barnett Newmans „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“, das erst im dritten Teil ausgestellt sein wird, muss Jahre warten. Ein stärkeres Argument für die schon von Ludwig Justi geforderte Einrichtung einer „Galerie des 20. Jahrhunderts“, für die sich die benachbarte Gemäldegalerie nach Auszug der Alten Meister Richtung Museumsinsel anbieten würde, gibt es wohl kaum. Leider fehlt es am Geld, und die Neue Nationalgalerie wird sich weiterhin zerreiben zwischen ihren Standorten Kulturforum, Hamburger Bahnhof und Charlottenburg.

Doch der Kummer hat auch seine guten Seiten, denn durch den scharfen zeitlichen Schnitt ’45 und ’68 lässt sich in die Tiefe bohren und Erstaunliches, Unbekanntes, lange nicht Gezeigtes an die Oberfläche befördern. Vorbei an einer luziden Gegenüberstellung von Picasso, Harald Metzkes und Jürgen Strawalde, die den großen Spanier im Osten Deutschlands beerbten, vorbei an den Pop-Heroen Warhol und Lichtenstein, die ihren Widerhall in Sigmar Polke und Thomas Bayrle fanden, gelangt man zu einem der schönsten Räume der neuen Dauerausstellung. „Deutschland, bleiche Mutter“ nannte Fritz Cremer sein Mahnmal für das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen in Österreich in Anlehnung an Bertolt Brecht: eine allegorische sitzende Figur mit schrundiger Oberfläche und leicht geneigtem Oberkörper, deren Silhouette bei Henry Moores handschmeichelnd glatter Bronzeskulptur wiederkehrt. Und noch ein Echoraum öffnet sich in diesem Saal: Francis Bacon, der in der Malerei wie kein anderer den sich windenden, gepeinigten Menschen zeigte. Wer diese Konstellation gesehen hat, weiß sofort, dass er sie nach Ausstellungsende vermissen wird.

Doch selbst in der Tiefe lässt sich manches nur antippen: Körperkunst kommt viel zu kurz, Videos von Bruce Nauman, wie er immer wieder gegen eine Raumecke prallt, die Fotoserie von Günter Brus, der sich bemalt, können kaum genügen. Das knappe Jahrhundertviertel nach ’45 ist gefüllt mit Entwicklungsschüben. Auf Informel folgt Pop und darauf Minimal, am Ende Fluxus und Politkunst, bis zuletzt auch die Fotografie ins Museum darf.

Ihre großen Momente hat die Präsentation dort, wo sie pathetisch wird. Eine Bühne bietet dafür der Gartensaal, der sich durch einen neuen steingrauen Boden optisch hinaus verlängert. Wie Riesenspielzeugsteine wirken hier die vier Würfel von Donald Judd sowie Ronald Bladens „Three Elements“, die zu kippen scheinen. Doch den Künstlern war es bitterernst: Ruhe, Stille, Andacht als Antwort auf die Bildergefräßigkeit der Pop-Art. Auch Zero besaß diesen Zug ins Heldenhafte, indem ihre Vertreter Aureolen zu Kunst machten. Für die nun fehlenden Werke der klassischen Moderne mag Otto Pienes psychedelischer „Lichtraum“ als Ersatz dienen, der alles Sehen in die Vorstellungskraft zurückverlegt. Für ihn definiert sich Kunst aus Licht und Bewegung, Ausgangspunkt für den Aufstieg zu höheren Sphären. Die harte Landung in der Wirklichkeit folgt wenig später mit Nam June Paiks Mobile aus Alltagsgegenständen, an dem ein Kinderroller und eine Holzsandale baumeln.

Die deutsch-deutsche Kampf um Gegenständlichkeit und Abstraktion erweist sich als ein Feld von vielen. Der Widerspruchsgeist ist in der Kunst per se angelegt, ohne dass es der Ideologien bedarf. Mit dem Jahr ’68 aber wendet sich umgekehrt die Kunst der Politik zu. In Wolf Vostells „Happening-Raum“ laufen Fernsehbilder, drehen sich die Bewegungsmelder auf einem Boden aus zerschlagenen Fensterscheiben. Die himmlische Ruhe im Museum ist dahin.

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, bis Frühjahr 2013; Di, Mi, Sa 10–18, Do bis 22, Fr, Sa 11–18 Uhr.

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