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Kultur: NATIONAL MUSEUM OF THE AMERICAN INDIAN, WASHINGTON, D. C.

Ein offenes Haus, ein stolzes Haus, ein architektonisches Meisterstück.

Die Location ist schon ein starkes politisches Statement. Zwischen dem National Air and Space Museum und dem Kapitol liegt das Nationalmuseum für indianische Kultur. Es gehört zum Smithsonian-Komplex, wie all die anderen Häuser auf der National Mall, es ist hier der Youngster, im Jahr 2004 eröffnet. Die Architektur wirkt erhebend. Die Außenhaut aus Natursandstein trägt majestätische Natur mitten in die Hauptstadt hinein. Die indianischen Baumeister haben die sanften, ausladenden Kurven der cliff dwellings aus dem Südwesten der USA nachvollzogen. Selten steht man vor einem Gebäude, das so spürbar atmet und eine solche verführerische Anziehungskraft entfaltet.

Die Sammlung umfasst 800 000 Objekte, wobei eine andere Zahl noch eindrucksvoller ist: An die tausend indianische Völker und Kulturen sind hier angesprochen, von Südamerika bis nach Alaska, einen Zeitraum von 10 000 Jahren umfassend. Den „Indianer“ oder „die Indianer“ gibt es also nicht. Die Ausstellung trennt nicht zwischen Alltag, Politik, Soziologie und Geschichte, die indianischen Kulturen werden ganzheitlich aufgefasst. Und trotz der riesigen Sammlungsschätze stehen hier die temporären Ausstellungen im Vordergrund – wie derzeit „A Song for the Horse Nation“, wo es um die Beziehung der Indianervölker zum Pferd geht, oder „Conversations with the Earth“, wo sich die Kuratoren mit dem Klimawandel und der indianischen Tradition beschäftigen.

Das Innenleben des fünfstöckigen Gebäudes erinnert ein wenig an das Guggenheim in New York mit seinen Serpentinen. Vor allem aber ist dieses Museum ein Haus für Veranstaltungen, eine gewaltige Bühne. Mitte Januar findet hier ein „Storytelling Festival“ statt, es gibt regelmäßig Musik- und Tanzaufführungen. Als offenes, einladendes Haus erfüllt es jene Erwartungen, die man dereinst an die Agora im Berliner Humboldt-Forum stellen wird. Entscheidend ist die Harmonie von Architektur und Funktion, äußerer Erscheinung, Bestimmung und Nutzung: Sie sind nicht voneinander zu trennen, ganz anders als beim Humboldt-Forum, wo ein globales Konzept hinter eine imitierte Barockfassade gepresst wird.

Großzügig hat man auch den Museumsshop (mit einer hervorragenden Literaturauswahl und zeitgenössischen Artefakten) und das Restaurant geplant. Und erst wenn man das Museum besucht und erwandert hat, wenn man wieder ins Freie tritt, begreift man, dass auch die Umgebung mitspielt – eine grüne Lunge, eine Verbeugung vor der grandiosen Landschaft Nordamerikas, mit Felsen, Wiesen, Feldern, hohen Bäumen und Büschen. Ein Traum – wäre die Geschichte der Indianer Nordamerikas nicht derart von Verfolgung, Demütigung und Auslöschung durch die Siedler geprägt. Ein Denkmal, ein stolzes Haus.

Rüdiger Schaper

www.nmai.si.edu

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