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Die Wildpferde auf Sable Island stammen aus einem kanadischen Besiedlungsprojekt im 18. Jahrhundert.

© Jacquelyn Mills

Naturfilme auf der Berlinale: Mystiktanz im Wurzelwerk

Befinden wir uns schon am Ende des Anthropozäns? Drei Filme im Forum verteidigen die Natur gegen den Einfluss der Menschen.

Schon lange nimmt die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Natur sowie ihrer Ressourcen im Forum einen prominenten Platz ein. Dieses Jahr ist dem Versuch, „den dem Kino eigenen Anthropozentrismus" zu überwinden“ (Forum-Leiterin Cristina Nord), ein Essay von Sasha Litvinsheva zum „Kino am Rande des Menschlichen“ gewidmet. Drei Filme thematisieren auf unterschiedliche Art unserer Verbundenheit mit dem Nicht-Menschlichen, Pflanzen, Tiere, die Erde und das Wasser als Urform des Lebens spielen dabei eine besondere Rolle.

Mit Bildern aus dem Berliner Museums für Naturkunde beginnt „Afterwater“ von Dane Komjlen, entstanden in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie. Die Seen, die uns Sterblichen als dauerhafte Kennzeichen von Landschaften erscheinen, seien in geologischer Dimension auch nur höchst vergängliche Lebewesen, heißt es einmal sinngemäß.

Gedreht am Stechlinsee in Brandenburg und dem spanischen Lago de Sanabria, handelt „Afterwater“ vom Wild-Camping-Ausflug eines jungen Berliner Paares, der sich in ein elementar-mystisches Tanztheater verwandelt. Pastellfarben gekleidete Figuren schmiegen sich an Erdformungen und Wurzelwerk und begeben sich später, in einer Art Re-Evolution ins Amphibische, ins Wasser. Die tänzerische Energie ist eindringlich, leidet aber unter der allzu literarischen Off-Erzählung.

Erdnah wiederum beginnt ein Film aus dem kleinbäuerlichen Milieu, der entsprechend bodenständiger ist. Die von Krampfadern gezeichneten Füße und Waden in „Terra que marca“ gehören einer von Landarbeit gekrümmten Frau, die energisch den Boden bearbeitet. Die Gärtnerin ist die Großmutter des portugiesischen Regisseurs Raul Domingues, sein Film beobachtet die Erde, Füße und Hände, die Gartenarbeiten: sprießendes Grün, einen Mann am Traktor, Bäume werden gefällt. In der ungeordneten zeit-räumlichen Topografie grasen auf einer Lichtung Schafe und ein Pferd, das seine Lieblingskräuter aus einem wunderschönen Flecken violetter Wiesenblumen zieht. Das Land im fortwährenden Wachstum, gebändigt in meist gebückter Arbeitshaltung.Aber selbstverständlich auch geprägt durch die menschlichen Eingriffe mit Hacke, Spaten, Motorsäge und Bagger. Im Ton dazu statt Worten Maschinenlärm, Hahnengekräh und Kirchenglocken. Und am Himmel tanzt ein Vogel Schleifen in die Luft.

Mit allen Sinnen in das Leben eintauchen

Auch in „Geographies of Solitude“ der kanadischen Regisseurin Jacquelyn Mills spielt die Großmutter eine zentrale Rolle. Die hatte mit ihrer vierjährigen Enkelin im Fernsehen einst eine Dokumentation Jacques Cousteaus über die kanadische Sable Island angesehen, wo eine junge Frau ihr Leben den wilden Pferden und Robben widmet. Die Filmemacherin besucht später mehrmals Sable Island und bringt drei Jahrzehnte später einen Film von dort mit, der mit allen Sinnen in das Leben auf der Düneninsel eintaucht und eine eindrucksvolle Frau vorstellt.

Re-Evolution ins Amphibische: In Dane Komjlens „Afterwater“ wird ein Berliner Pärchen eins mit der Landschaft.
Re-Evolution ins Amphibische: In Dane Komjlens „Afterwater“ wird ein Berliner Pärchen eins mit der Landschaft.

© Flaneur Films

Zoe Lucas war einst als Kunststudentin wegen der wilden Ponys auf die Insel im Nordwestatlantik gekommen. Mittlerweile lebt sie dort seit Jahrzehnten, und zeichnet penibel das unter den scheinbar widrigen Bedingungen reichhaltige Leben auf. Neben den Ponys, Überbleibsel eines Besiedlungsversuchs im 18. Jahrhundert, die sich trotz des rauen Klimas prächtig entwickelt haben, leben dort diverse Robben-, Vogel- und Insektenarten.

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Zoe dokumentiert sie, dick eingepackt mit Rucksack und Handy, auf ihren Streifzügen über die windumtoste Insel. Sie sammelt, sortiert und verzeichnet auch den Plastikmüll, der am Strand landet: Flaschen, Reste von Schiffstauen, Verpackungsfolien, Luftballons. Aus ihnen macht Zoe Kunst. Und irgendwo in den Dünen liegt ein Knäuel aus Unterseekabeln als vom Wind geschaffene Großplastik.

Mills begleitet Lucas’ Arbeit auf der Insel, wo in der meersalzigen Luft der natürliche Kreislauf des Lebens anschaulich zu erleben ist und Käfer im Strandhafer verendete Pferde zum Dünger für die nächste Pflanzengeneration werden lassen. Praktische Chemie auch im Film selbst: Mills arbeitet auf analogem 16-mm-Material, das sie mühsam per Flugzeug herbei schafft und nun auch jenseits der Kameralinse mit dem Ort in Berührung bringt. Es wird mit Pferdehaaren bestreut, dem im Überfluss vorhandenen Sternenglanz belichtet, im Pferdemist eingegraben und in Schafgarbensud entwickelt. Unterlegt sind die Bilder mit einem Soundtrack, den Mills mit Hilfe von Elektroden von Ameisen und Schnecken erzeugt. So schreibt die Insel sich selbst als Flackern und Knistern materiell in den Film ein.

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