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Der Klassiker der Nacktschnecken und Schrecken aller Gärtner: Die Spanische Wegschnecke, die es in Spanien gar nicht gibt

© Abbildung: Falk Nordmann/Verlag

Naturkunden: Die Schnecke: Bodenständig 2015

Langsam, glitschig, gut: Florian Werner porträtiert in der von Judith Schalansky herausgegebenen "Naturkunden"-Reihe die Schnecke

Als Städter, gerade als Großstädter muss man erst einmal in sich gehen: eine Schnecke, wann hat man die denn zuletzt so auf seinen Wegen durch die Straßen gesehen? Insofern hat Florian Werners Schnecken-Porträt in der von Judith Schalansky herausgegebenen Matthes & Seitz-„Naturkunden“-Reihe etwas Verführerisches, da kommt nicht gleich der Gedanke auf, dass Schnecken, insbesondere Nacktschnecken, viel Ekliges haben, so glitschig, glibberig, schleimig, wie sie sind. Werner aber geht damit gleich in seinem sogenannten Anlauf offen um: „Erwachsene empfinden die Angehörigen der Klasse Gastropoda mehrheitlich als ekelhaft: als Ungeziefer, das man bedenkenlos zertreten oder zur Abschreckung ihrer Artgenossen mit der Gartenschere durchschneiden kann.“

Dass Schnecken ein so mieses Ansehen nicht verdient haben, sie im Gegenteil mit ihren über 100 000 Arten eine faszinierende Spezies sind, demonstriert Florian Werner im folgenden anschaulich, intelligent, kulturhistorisch, unter Einbeziehung von Schneckenstellen bei Plinius dem Älteren bis hin zu Patricia Highsmith und Peter Greenaway, mitunter vergnüglich. Und durchaus mit Tempo, nachdem er sich zu Beginn über die Langsamkeit der Schnecken auslässt und ein Schneckenrennen in England besucht (später folgt zudem ein Besuch auf einer Zuchtfarm in der Bretagne). Um Essen und Ekel geht es in der zweiten Runde, wie Werner seine Kapitel nennt, um das Züchten und die Distinktionsgewinne beim Verzehr, die semiotische Umdeutung vom „Billigessen zur kostbaren und -spieligen Delikatesse“.

Schnecken setzen sich über Sex und Gender einfach hinweg

In Werners dritter Runde ist der Sex an der Reihe: das Vermögen der Schnecken, sich immer wieder beträchtlich zu vermehren, was evolutionstechnisch wohl der Langsamkeit und Verletzlichkeit ihrer Körper geschuldet ist, die Populationsdichte will konstant gehalten werden. Andererseits widmet sich Werner dem zwittrigen Wesen gerade der Landlungenschnecken sowie ihrem Liebesspiel, etwa dem Werfen von Liebespfeilen der Weinbergschnecken. Um daraus auf ihre „Vorreiterfunktion“ für den Menschen zu schließen: „Die Tatsache, dass es eine ganze Tierklasse gibt, deren Angehörige sich über die dominanten Kategorien von Sex und Gender hinwegsetzen, muss daher ein Stachel im Fleisch aller Verfechter heterosexueller Paarbeziehungen sein – sowie des Pakets an bürgerlichen Werten, das diesen anhängt“.

Es braucht gar nicht mehr die Verweise auf das Schneckengehäuse, damit standhaft molluskophoben Zeitgenossen verständlich wird, dass Schnecken mehr als nur Ungeziefer und eklig sind. Die vielen Abbildungen in dem Band tun ihr Übriges – auch wenn der Anblick der orangefarbenen Spanischen Wegschnecke (die es in Spanien übrigens gar nicht gibt) böse Erinnerungen weckt: Hat sich mein Vater bei Harzwanderungen nicht immer einen Spaß daraus gemacht, mir diese Nacktschnecken unter die Nase zu halten und mich aufgefordert, sie in die Hand zu nehmen? Vergeblich, das kann ich bis heute nicht.
Florian Werner: Schnecken. Ein Porträt. Reihe Naturkunden. Matthes & Seitz, Berlin 2015. 151 Seiten, zahlreiche Abb., 18 €.

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