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Kultur: Nazi oder Jude?

"Wie kommt dieser Mensch dazu, mit meinem Gesicht herumzulaufen?" Jacks erste Reaktion beim Treffen mit seinem Zwillingsbruder Oskar ist Ablehnung.

"Wie kommt dieser Mensch dazu, mit meinem Gesicht herumzulaufen?" Jacks erste Reaktion beim Treffen mit seinem Zwillingsbruder Oskar ist Ablehnung.Zunächst nicht mehr als eine Kuriosität: Zwei Brüder, die nichts voneinander wußten, treffen 1954 mit 21 erstmals aufeinander.Erst durch den zeitgeschichtlichen Rahmen wird die Geschichte brisant.Denn Oskar und Jack sind die Söhne eines jüdischen Vaters und einer Mutter aus dem Sudetenland.Nachdem die Eltern sich nach der Geburt der Zwillinge trennten, wächst der eine im Sudetenland als Hitlerjunge, der andere in Trinidad in der Karibik als gläubiger Jude auf.

Frauke Sandig hat in ihrem Dokumentarfilm "Oskar und Jack" die Stationen der Begegnung zwischen den Brüdern nachgefragt.1954 macht Jack auf der Durchreise von Israel nach Amerika in Deutschland Station, um Mutter und Bruder kennenzulernen.Die allerdings leben im Haus eines unbelehrbar nazistischen Stiefvaters."Sag bloß nicht, daß du aus Israel kommst", beschwört Oskar seinen Bruder.Und muß sich gleich darauf gegen die Vorwürfe beider verteidigen, durch einen Besuch in Ostberlin zum "Kommunisten" geworden zu sein.Erst zwanzig Jahre später, als die beiden im Rahmen eines Zwillingsforschungsprojektes in Kalifornien wieder aufeinandertreffen, verläuft die Begegnung friedlicher.Die ungleichen Brüder, Schmerbäuche in Badehose, treten in einen halb kindischen, halb ernsthaften Wettstreit: Was ist schöner, mein Sudetenland oder deine Karibik? Wer ist der Stärkere? Warum hat Mutter dich mitgenommen?

"Jude und Nazi" titelt die Presse, als die Geschichte in den 70er Jahren publik wurde.Und verkennt damit Oskars Bemühen, sich den Fragen zu stellen, die sein unbekannter Bruder in sein Leben brachte.Jedem Deutschen nach dem Krieg hätte man die gleiche Chance gewünscht wie diesem Bergbauingenieur, der nach Auschwitz reist, weil ihn die Frage von Recht und Unrecht nicht losläßt.Regisseurin Frauke Sandig tut nicht viel mehr, als beide Brüder abwechselnd vor die Kamera zu holen.Und vertraut zu Recht auf die ungewöhnliche Geschichte und persönliche Integrität der beiden ungleich-gleichen Brüder.

CHRISTINA TILMANN

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