zum Hauptinhalt

Kultur: Nazis, wollt Ihr ewig leben?: Rentnerdämmerung

Wie stellen wir uns einen Nazi vor? Einen echten Nazi, nicht einen dieser kahlgeschorenen Schreihälse, die ihr ganzes Von-der-Gesellschaft-angekotzt-Sein in antisemitische Parolen kleiden und Ausländer durch die Straßen jagen.

Wie stellen wir uns einen Nazi vor? Einen echten Nazi, nicht einen dieser kahlgeschorenen Schreihälse, die ihr ganzes Von-der-Gesellschaft-angekotzt-Sein in antisemitische Parolen kleiden und Ausländer durch die Straßen jagen. Und auch nicht jene grimassierende Karikatur eines Nazis, wie sie mit ermüdender Regelmäßigkeit in Hollywood-Filmen auftritt. Nein, ein richtiger Nazi, das ist heute "ein netter alter Herr": ergraut, von Gedächtnislücken gebeutelt. Ein Greis, der unter Mühen den Alltag bewältigt. Auch Friedrich Engel aus Hamburg hätte unser Mitleid verdient, denn es ist nicht leicht, in Würde zu altern.

Freilich ändert sich vieles, wenn man weiß, dass der Rentner bei der SS war, dass er Exekutionen und Vergeltungsmaßnahmen zu verantworten hat und seine Verbrecher-Vita über Jahrzehnte zu verbergen wusste. Es ist offenbar leichter, mit der Erinnerung an Leichenberge weiterzuleben, als wir vermuten - zumal ohne schlechtes Gewissen. Deshalb leben Nazis so lange. Wollen einfach nicht wegsterben. Bleiben da. Vielleicht warten sie sogar darauf, uns mit ihren monströsen Unschuldsbeteuerungen heimsuchen zu können.

Man fragt sich: Was halten diese alten Männer von der Gegenwart? Überall Talk-Runden, Beredsamkeit, Seelenmassagen, Sorgentelefone. Nur sie selbst sind zum Schweigen verdammt. Ihr Grauen ist die Stille, die sie mit ihren Opfern teilen. Diejenigen, die er hatte umbringen müssen, sagt der "schwarze Engel" aus Hamburg, seien wie Helden gestorben, ohne zu klagen. Was hat er sich also vorzuwerfen?

In der perfiden Logik des Holocaust sind es bis heute die Opfer, die sich für das an ihnen begangene Unrecht am meisten schämen - für Massenmord, Zwangsarbeit und Erniedrigung. Dass es uns doch noch gibt, sagen sie, wird man uns nicht verzeihen. Dem Holocaust sind sie entkommen, aber in der Gegenwart sind sie ebenso wenig zu Hause wie ihre einstigen Peiniger. So wie der Holocaust-Überlebende, der jetzt per einstweiliger Verfügung eine konzertante Aufführung des ersten Aktes von Wagners "Walküre" in Jerusalem verhindern will - Daniel Baranboim würde sie dirigieren. So wenig es hilft, alte Männer für Taten bestrafen zu wollen, die über 50 Jahre zurückliegen, ebensowenig nutzt es freilich, Wagner wegzusperren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false