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Kultur: Neapel als Hure & Männer im Rock

Die ermüdende Eröffnung durch den "Geizigen" von Roger Planchon im Deutschen Theater ließ Schlimmes befürchten: Die Angst, in ein Theatermuseum entführt zu werden, überkreuzte sich mit der Sorge, als interessierter und ausdauernder Besucher eine Genickstarre davonzutragen. Die Wiederkehr eines textorientierten Theaters war von den Programm-Machern für das "Theater der Welt" in Berlin 1999 verkündet worden.

Von Sandra Luzina

Die ermüdende Eröffnung durch den "Geizigen" von Roger Planchon im Deutschen Theater ließ Schlimmes befürchten: Die Angst, in ein Theatermuseum entführt zu werden, überkreuzte sich mit der Sorge, als interessierter und ausdauernder Besucher eine Genickstarre davonzutragen. Die Wiederkehr eines textorientierten Theaters war von den Programm-Machern für das "Theater der Welt" in Berlin 1999 verkündet worden. Die typische Fehlhaltung des Theaterbesuchers war dann folgende: den Kopf nach oben gereckt, versuchte er der Übertitelung zu folgen, die nicht immer synchron mit dem Bühnengeschehen verlief und deren Übersetzungsversuche bisweilen recht skurril ausfielen (aus Plunder wurde eine Flunder). In semantischen Strapazen befangen, konnte man sich nicht unbelastet und unbeschwert an den unterschiedlichen Klangfarben der gesprochenen Weltsprachen, an der Musikalität so mancher Inszenierung erfreuen. Das nahende Jahrtausend-Ende mag dazu verführt haben. Einige der Theatermacher unternahmen den Versuch, die kulturellen und religiösen Sinnreserven zu sichten, Menschheitsängste Revue passieren zu lassen, die "Arbeit am Mythos" nochmals aufzunehmen. Doch wo die Frage nach der Tradition bleischwer im Raum hing, waren nur selten neue Spielweisen zu entdecken. Die aufwendigen und ambitionierten Produktionen wie beispielsweise der interkulturelle "Lear" und das Gastspiel des türkischen Staatstheaters sind in Berlin fast alle durchgefallen oder zumindest sehr zwiespältig aufgenommen worden.Doch das Festival hat noch die Kurve gekriegt, nach einigen Tagen stieg auch das Stimmungsbaromenter. Zirka 23 000 Zuschauer besuchten die 36 Produktionen aus allen fünf Kontinenten, die Platzauslastung lag bei durchschnittlich 85 Prozent. Es gab sie also, die Kultstücke und die Publikumrenner. Und es sind eher die kleinen Produktionen, die im Gedächtnis bleiben. Beim New Yorker Jungregisseur Richard Maxwell versammelte sich ein hippes Publikum, der Abgesang auf die middle-class-Familie und den amerikanischen life-style begeisterte durch seine lapidare Komik. Zur argentinischen Theaternacht, die in dem winzigen Theater am Ufer über die Bühne ging, bildeten sich lange Schlangen, etablierte sich sogar ein Schwarzmarkt."Theater der Welt" in Berlin war ein Theater der Männer. Die Regie war bis auf wenige Ausnahmen fest in männlicher Hand, es inszenierten die altersmilden oder berserkerhaften Väter und die nicht ganz so zornigen Söhne. Auch sie gab es: fette Männer im Rock oder den Nackten im Federbusch. Exklusive Bruderschaften vertieften sich da in dunkle Männerrituale, man wurde Zeuge, wie sich auf der Bühne die männliche Individualität zerkrümelte, Paranoia zum Normalzustand wurde. In "Rasoi" von Mario Martone wird Neapel in eruptiven Wortkaskaden als große Mutter und Hure beschworen. Wunderbar der Moment, wo die Madonnenstatue zu szenischem Leben erwacht und mit klagender Stimme vom Martyrium eines kleinen Jungen berichtet. Der rauhe napolitanische Dialekt bleibt einem noch lange im Ohr. Madonnenhaft mutet auch die vergilbte Fotografie von Elsa an. Schief hängt ihr Bild an der Wand des Verschwörer-Hinterzimmers, wo sich sieben Möchtegern-Revoluzzer versammeln. Unter dem milden, fernen Elsa-Blick entfalten sich in "El pecado que no se uede nombrar" männlicher Größenwahn und männliche Versagensängste, von dem Argentinier Ricardo Bartís zu einer feingesponnenen Groteske verknüpft. Der Kolumbianer Enrique Vargas, der sein Labyrinth in einem maroden Spreespeicher errichtete, vereint in seiner Produktion ein väterliches und mütterliches Prinzip. Der Zuschauer muß allein durch das Dunkel tappen, durch ein Spiegelkabinett irren, wird mit Tod und Teufel konfrontiert, muß seinen eigenen Ängsten ins Angesicht blicken. Hier am Ufer der Spree, wo früher die Grenze verlief und heute die U-Bahn über die Oberbaumbrücke rattert, wähnt man sich im Transit der Zeiten. Auch wenn das Festival sich nicht zu einem 17tägigen Dauer-Fest entwickelt hat, auch wenn die Sehnsucht nach dem Exotischen und Authentisch-Fremdländischen nicht bedient wurde, konnte man doch außergewöhnliche Theater-Erfahrungen machen. Und wurde vielleicht Zeuge ungewöhnlicher Begegnungen, da verschlug es einen staunenden US-Regisseur schon mal in die Vorstellung des afrikanischen Ymako Theaters, dessen Protagonisten unter freiem Himmel erzählten, sangen, tanzten und scherzten. Hilfreich zur Orientierung war das Arbeitsbuch, das "Theater der Zeit" begleitend zum Festival herausbrachte. Hier finden sich zahlreiche Beiträge, die zum Nachlesen einladen.

Arbeitsbuch "Theater der Welt 1999 in Berlin", herausgegeben von Joachim Fiebach im Auftrag von "Theater der Zeit" und dem Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts (ITI), 24,80 Mark.

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