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Kultur: Neapel sehen

Unter Riccardo Muti geben sich die Salzburger Pfingstfestspiele archäologisch

Die Salzburger Pfingstfestspiele, die sich bekanntlich ganz der Barockmusik widmen, haben seit geraumer Zeit ein Problem: Sie sind nicht wirklich exklusiv. Wenn etwa Marc Minkowski gerade einen virtuosen Gluck auf der Pfanne hatte, so gab es diesen neben Salzburg auch in Paris, Rom oder New York zu hören. Oft wurde dem kostspieligen Festival an der Salzach nicht einmal das Recht der ersten Nacht zugestanden.

Der neue Salzburger Festspielintendant Jürgen Flimm landete also einen echten Coup, indem er mit Riccardo Muti einen Fachmann fürs Alte und gleichermaßen fürs Finanziell-Sponsorale an Land zog. Mutis Geburtsstadt Neapel dient nun als Ausgangspunkt für eine zunächst auf drei Pfingstfeste angelegte Reise auf kaum bekanntes Terrain. Titel: „Neapel – Metropole der Erinnerung“.

Dafür tauchte der Maestro in die Tiefen und Untiefen von Spezialbibliotheken ein und förderte einige vergessene, nicht einmal in Katalogen erfasste Opern und Oratorien zutage. Dank des neuen, Luxusuhren fabrizierenden Sponsors sowie des koproduzierenden Ravenna-Festivals erlebte man in Salzburg nun die „zweite Uraufführung“ einer verschollen geglaubten Oper von Domenico Cimarosa. „Il ritorno di Don Calandrino“ ist ein Frühwerk Cimarosas, eine typische Buffa. Das Dörfchen Monte Secco wartet auf den aus Neapel heimkehrenden Calandrino, einen Säufer und Hochstapler, der allerdings bei den Frauen sehr beliebt ist. Gleich zwei wollen ihn ehelichen, da tritt plötzlich ein merkwürdig-verschrobener Franzose namens Monsieur Le Blonde auf den Plan. Nach knapp drei Stunden Verwechslungen, Liebeswirrwarr, allerlei Spielchen und Spielereien finden dann natürlich doch noch zwei glückliche Paare zueinander und das lieto fine wird vom anwesenden Dorf gebührend gefeiert.

Musikalisch bewegt sich die Oper in eher seichten Gewässern: Wunderschöne Instrumentalpassagen, etwa über ein murmelndes Bächlein, wechseln mit hübschen, aber unspektakulären Arien. Fürs Spektakel auf der Bühne war der Italiener Ruggero Cappuccio verantwortlich, er wollte gewiss mit Stilmitteln der Commedia dell’Arte eine sommerlich-luftige Atmosphäre schaffen. Die altbackenen Kostüme (Roben, orientalische Gewänder, Pluderhosen und Perücken) sowie herumalbernde Zirkusartisten und eine Art Liebeslotterie samt passender Lottofee ließen den Abend jedoch rasch in billigen Klamauk abrutschen. Die konsequent rampenorientierte Personenführung sorgte für etliche müde Momente.

Riccardo Muti dirigierte das von ihm gegründete Orchestra Giovanile Luigi Cherubini schön, solide und sängerfreundlich – ohne allzu große Sprünge oder Eigenwilligkeiten und leider auch ohne eine konkrete Werkidee. Mit Laura Giordano und dem manchmal etwas rauen Juan Francisco Gatell in der Titelpartie präsentierten sich zwei junge Sänger mit guten Karriereaussichten.

Neben der Oper standen noch insgesamt vier Konzerte auf dem Spielplan, am überzeugendsten wohl das Accordone-Ensemble mit seinem furisoen Vorsänger und Conférencier Marco Beasley. Hier begegneten sich weltliche und geistliche Kantaten: Spirituelles rangierte neben Süffig-Weltlichem. In einem Nachtkonzert stellte der Franzose Louis Sclavis außerdem virtuosen Free Jazz vor, der das heutige Neapel voller Müll und Kriminalität mit Sehnsuchtskantilenen nach der alten Tradition als Musikstadt konfrontiert. Kratzbürstige Elektrobeats und schräge Schmutzgesänge (Médéric Collignon): So pocht heute der neapolitanische Schmerz.

Den Schlusspunkt setzte dann nochmals Riccardo Muti mit dem Cherubini- Orchester, ausgegraben und musiziert wurde das 1717 entstandene Oratorio a quattro voci von Scarlatti, ein sehr langes (und reichlich langweiliges) Werk mit wahren Arienschlachten für den exzellenten Countertenor Franco Fagioli.

Ausgrabungen mögen löblich sein, lohnend sind sie nicht immer. Aber vielleicht ist Riccardo Muti im nächsten Jahr ja mehr Archäologenglück beschert.

Jörn Florian Fuchs

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