zum Hauptinhalt
Unterwegs zum Hauptgewinn? Woody Grant (Bruce Dern) und sein Sohn David (Will Forte).

©  Paramount

"Nebraska": Feines, kleines Roadmovie

Mit feinen, kleinen Filmen ist Alexander Payne zu einem der Großen des US-Kinos geworden. In "Nebraska" - soeben sechsmal oscar-nominiert - erzählt er von der Reise eines alten Vaters mit seinem Sohn: komisch und anrührend - und in Schwarz-weiß.

Billings gibt es wirklich. Die einzige Großstadt Montanas, benannt nach dem Eisenbahnverkehrsgesellschaftspräsidenten Frederick Billings, besitzt drei Erdölraffinerien und gilt in der Region als bedeutendes Handelszentrum für Weizen und Zuckerrüben. Auch Lincoln ist auf jeder besseren Weltkarte verzeichnet. Mit 250 000 Einwohnern mehr als doppelt so groß wie Billings, rühmt die Hauptstadt von Nebraska sich der Erfindung des Stoffhandtuchautomaten. Und unter ihren bei Wikipedia gelisteten „Söhnen und Töchtern“ stechen die Schauspielerin Hilary Swank sowie Charles Starkweather, Serienmörder, hervor.

Einen Ort namens Hawthorne aber auf der knapp 900 Meilen langen Strecke zwischen Billings und Lincoln, Ausgangspunkt und Ziel von Alexander Paynes „Nebraska“, sucht man vergebens. Für die Bebilderung des Hauptschauplatzes seines Roadmovies hat der Regisseur die 1000-Seelen-Gemeinde Plainview ausgewählt. Über Plainview weiß sogar die englische Ausgabe von Wikipedia wenig. Dafür finden sich auf Google-Maps die umgebenden Farm-Areale wie Kacheln auf einer riesigen Wand aufgereiht. Die lokale Webseite ihrerseits führt im Wappen eine munter wehende Piratenflagge.

Tiefer Mittlerer Westen also, weites, ödes Land: Nach seinen Ausflügen nach Kalifornien („Sideways“, 2004) und zuletzt Hawaii („The Descendants“, 2011) hat Alexander Payne, geboren in Omaha, Nebraska, in seine Heimat zurückgefunden, wo er die ersten drei Filme „Citizen Ruth“, „Election“ und „About Schmidt“ drehte. Das ist die gute Nachricht. Die noch bessere: „Nebraska“ kommt ganz ohne Celebrities wie George Clooney („The Descendants“), Paul Giamatti („Sideways“) oder Jack Nicholson („About Schmidt“) aus; stattdessen gruppieren sich wenig bekannte Namen um ein paar halb vergessene alte Kämpen um Bruce Dern. Und die beste Nachricht: Ganz ohne Star-Power und noch dazu in Schwarz-Weiß zuckelt „Nebraska“ auf seine Weise zum Ruhm. In den USA hat der Film in zwei Monaten wackere zwei Drittel seines 12-Millionen-Dollar-Budgets eingespielt.

Am liebsten sei seine Geschichte daher langsam erzählt, so langsam, wie sie sich auf der Leinwand entfaltet. Woody Grant hat eine Million Dollar gewonnen. Glaubt er zumindest, schließlich steht es so auf dem mit seinem Namen bezeichneten Werbebrief eines Zeitschriften-Abodienstes. Also macht er sich, früher Inhaber einer Autowerkstatt, aber in seinen höheren Siebzigern ohne Führerschein und zudem Gewohnheitstrinker, zu Fuß auf nach Lincoln, wo der Brief abgesendet wurde. Es ist zwar Herbst, es ist schon kalt, aber niemand, soviel ist sicher, wird ihn von seinem Plan abbringen, am wenigsten seine zänkische Frau Kate (gespenstisch brillant: June Squibb).

Hat Woody Grant womöglich Alzheimer, wie es den auf dem Interstate Highway patrouillierenden Sheriffs scheint – der Grantler da in alter Jacke, Karohemd, abgetragenen Jeans und schief getretenen Stiefeln? Sollte er schleunigst ins Heim, wofür Kate und der erstgeborene Sohn Ross (Bob Odenkirk) plädieren, der smarte Nachrichtensprecher einer örtlichen Fernsehstation? Oder braucht der eigensinnige Alte, der sich zeitlebens großzügig hat abzocken lassen, plötzlich einen Beweis, dass man ihn diesmal nicht übers Ohr haut?

Zum Glück gibt es David (Will Forte), der das alles ein bisschen anders sieht – oder besser: der vor dem eigenen Urteil erst mal hinsehen will. Ross’ jüngerer Bruder, Verkäufer in einem Hifi-Laden und von der handfesten Freundin nicht mehr ganz frisch getrennt, meldet sich krank und fährt mit dem Vater im eigenen Kleinwagen los, nach Lincoln, da mag Kate zum Abschied noch so zetern. Und die langsame Reise beginnt: mal zum lauten Auflachen komisch, mal tränentreibend traurig, sehr verrückt und wunderbar sinnhaltig zugleich – eine der schönsten Kinoreisen seit Menschengedenken.

Was alles passiert auf der gemächlich mehrtägigen Tour? Hier nur dies: In Woodys Geburtskaff Hawthorne, wo Vater und Sohn zwangspausieren und die Kunde von Woodys plötzlichem Reichtum die Runde macht, lauert eine Verwandtschaft wie aus dem Bilderbuch des Grotesken, ohne deshalb gleich erfunden zu wirken. Auch Kate, der Ehe- und Familiendrachen, ist plötzlich wieder da, und darüber darf man bald schrecklich glücklich sein. Und: Die Reise mag sichtbar in Woodys Vergangenheit führen und die von ein paar anderen Leuten, eigentlich aber geht es dabei um ihren leisen Ermöglicher, David, den Sohn. Wessen bin ich, und wenn ja, wie wenig.

Am Donnerstag wurde "Nebraska", im Konzert der eher donnernden anderen Mitbewerber-Titel ein vergleichsweise stiller Konkurrent, in sechs Kategorien für die Oscars nominiert. Wenn die Vokabel hier nicht so unpassend marktschreierisch klänge, könnte man das durchaus "sensationell" nennen. Chancen für die Trophäe als bester Film, und dazu Nominierungen für den Regisseur, für die Schauspieler Bruce Dern und June Squibb, außerdem für Drehbuchautor Bob Nelson und Kameramann Phedon Papamichael. Das einstweilen Schönste aber: Die Nominierungen dürften diesen so ungemein unterhaltsamen und untadelig zarten Low-Budget-Schwarzweiß-Film noch ein paar Wochen in den Kinos halten – dort, wohin er ganz und gar gehört.

In Berlin im Blauer Stern Pankow, Capitol, Cinema, Paris, Cinemaxx, FaF, Kulturbrauerei und Yorck; OV im Cinestar SonyCenter, OmU im Central, Moviemento und Rollberg

Zur Startseite