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Bewegungswitz. Die Choreografie „mutual comfort“ von Edward Clug, getanzt von den tollen Nachwuchstänzern des Nederlands Dans Theater.

© Joris-Jan Bos

Nederlands Dans Theater in Berlin: Kuddelmuddel der kleinen Drachen

Die Juniorkompanie des Nederlands Dans Theater gastiert im Haus der Berliner Festspiele.

Von Sandra Luzina

Das Nederlands Dans Theater meldet sich zurück. Die renommierte Tanzkompanie aus Den Haag hat die Verbindung zu Berlin neu geknüpft, als sie im Herbst 2015 nach 15-jähriger Abwesenheit erstmals wieder in der Hauptstadt auftrat. In diesem Jahr sind nun die jungen Tänzer und Tänzerinnen des NDT 2 an der Reihe. Die Juniorkompanie wurde vor 40 Jahren gegründet, um den Nachwuchs für die Haupttruppe auszubilden. Die Tänzer sind zwischen 17 und 21 Jahre und bleiben drei Jahre in der Kompanie; sie erarbeiten mit angesagten Choreografen ein eigenes Repertoire und lernen unterschiedliche Tanzstile kennen. Das Modell wurde von Tanzkompanien auf der ganzen Welt übernommen.

In Berlin wurden die zwölf Tänzer, die noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehen, wie Popstars gefeiert. Die fünf Vorstellungen im Haus der Berliner Festspiele waren fast alle ausverkauft – das NDT ist eben eine gut eingeführte Marke. Das abwechslungsreiche Programm umfasste vier Choreografien – allesamt Berlin-Premieren. Stilistische Vielfalt ist ja ein Markenzeichen des NDT. Schon beim ersten Stück wurde deutlich, dass sich die Jungen nicht hinter den erfahreneren Tänzern der Haupttruppe verstecken müssen. In „mutual comfort“ von Edward Clug verlassen die vier Tänzer gleich die Komfortzone. Jeder Versuch, Kontakt aufzunehmen, endet früher oder später in einem Kuddelmuddel. Die Performer verschränken ihre Körper auf vertrackte Weise, ziehen und zerren aneinander, um sich dann wieder zu entknoten. Immer wieder durchfährt ein heftiges Rucken und Zucken die Körper, im Kontrast dazu stehen die schlängelnden Bewegungen der Körpermitte. Auch wenn die meist unbequemen und sperrigen Artikulationen auf einen Mangel an sozialer Geschmeidigkeit verweisen, besitzt Clugs Choreografie doch eine schöne Ironie und einen ganz eigenen Bewegungswitz.

Der Gefühlstumult der Schwangerschaft fließt in die Choreografie ein

Die beiden NDT-Hauschoreografen Sol León und Paul Lightfoot steuern zwei Stücke bei. Ein ausgelassener Humor zeichnet „Sad Case“ aus. Sol León war im siebten Monat mit ihrer Tochter schwanger, als sie das Stück 1998 zusammen mit Lightfoot kreierte. Der Gefühlstumult ist in das Stück eingeflossen. Zu kubanischen Mambo-Klängen von Pérez Prado vollführen die fünf Tänzer einen durchgedrehten Balztanz, die erdverbundenen Bewegungen von Fay van Baar lassen aber auch an einen Geburtsvorbereitungskurs denken. Lustvoll werden hier Geschlechterklischees durch den Kakao gezogen.

Für „Subtle Dust“, ihre neueste NDT- 2-Kreation, haben León und Lightfoot sich wieder von der Musik Bachs inspirieren lassen, der ihre Karriere als Choreografen wesentlich beeinflusst hat. Die Kostüme sind in Schwarz und Weiß gehalten, um die Polarität zu unterstreichen. „Subtle Dust“ ist eine Meditation über irdische Verstrickung und die Sehnsucht nach Erlösung. Doch das Choreografen-Duo greift diesmal häufig zu tänzerischen Floskeln, die Bachs Musik, die viel zu laut aus den Lautsprechern dröhnt, eher zudecken.

Wir sagen uns Dunkles

Marco Goeckes Choreografie „Wir sagen uns Dunkles“ ist der Höhepunkt des Abends. Goecke kombiniert Songs der britischen Band Placebo mit Musik von Schubert und Schnittke und zelebriert wieder den emotionalen Ausnahmezustand. Das heftige Zucken, die rasend schnellen Armbewegungen, die abrupten Wechsel – all das ist charakteristisch für den Maniac Goecke. Die Tänzer wirken wie verkapselt und werden dann von ihren überbordenden Gefühlen fortgerissen. Ekstase, Erschütterung und im Kontrast dazu ganz zarte, ruhige Bewegungen – wie die Tänzer den hypernervösen Goecke-Stil interpretieren, ist fantastisch. Ihre Silhouetten werden durch die Hosen mit Glasperlen-Fransen an den Seitennähten verändert. Wenn sie dann noch fauchen, sehen sie wie kleine Drachen aus.

Die jungen Tänzer beeindrucken nicht nur durch ihr technisches Können, sondern auch durch ihre Wandlungsfähigkeit und Ausdruckskraft. Um seine Zukunft muss sich das NDT keine Sorgen machen. Sandra Luzina
Haus der Berliner Festspiele, wieder So 14.10., 15 und 20 Uhr

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