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Scharfer Beobachter. Eduard von Keyserling.

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Gedanken über Neid, Ironie, Kunst: Eduard von Keyserling blickte seiner Zeit in die Seele

Mit „Kostbarkeiten des Lebens“ erscheinen die gesammelten Feuilletons des berühmten Kulturjournalisten aus dem 19. Jahrhundert.

Neid und Eifersucht seien „die Schamteile der menschlichen Seele“, schreibt Friedrich Nietzsche in „Menschliches, Allzumenschliches“, seinem berühmten „Buch für freie Geister“. Kürzlich erschien der dritte Band der Werke Eduard Graf von Keyserlings mit gesammelten Feuilletons sowie bislang unveröffentlichter Prosa.

Inmitten dieser „Kostbarkeiten des Lebens“, so der schöne und treffende Titel, findet sich ein kleiner, signifikanter Text, in dem der impressionistische Schriftsteller dem Philosophen und großen Entlarver allzumenschlicher Ressentiments nachzueifern scheint. „Menschliches“ heißt der Essay dann auch lakonisch. Der Neid sei „der gefährlichste Vergifter der menschlichen Gesellschaft“, behauptet der 1855 in Kurland geborene und 1918 in München gestorbene Graf hier ganz im Sinne Nietzsches, er habe nicht immer mit Habsucht zu tun, sondern oft auch mit einem „Gefühl der Demütigung, weniger Glück zu haben als der andere“.

Sich seines Neides zu schämen, was natürlich ein Bewusstsein desselben voraussetzt und damit die eher selten vorhandene Fähigkeit zur Selbstreflexion, hält er für kultiviert, sich nicht zu schämen dagegen schlicht für primitiv. Die Kultur allerdings erzeugt Keyserling zufolge eine dieser „unvornehmsten der Todsünden“ entgegengesetzte Fähigkeit, die die Teilhabe am Glück anderer ermöglicht: das Einfühlungsvermögen. Er beschreibt es als ästhetische Qualität.

Abgesehen davon, dass das Neid-Thema ein zeitlos menschliches ist, verrät der Text einiges über das Wesen des Grafen, daher die ausführliche Einlassung. Die psychologische Versiertheit, der Hang zur Vornehmheit oder zum humanistischen „Adel des Geistes“, das Kreieren einer schwebenden Atmosphäre, der elegante Schreibstil und nicht zuletzt die funkelnde Ironie. Diese drückt sich hier etwa darin aus, dass Keyserling den Schriftstellern, also sich und seinen Kollegen, mit denen er in Wiener oder Münchner Kaffeehäusern um die Jahrhundertwende regen Kontakt pflegte, nicht nur attestiert, oft Projektionsobjekt von Neid zu sein, sondern auch mehr als andere unbedingt beneidet werden zu wollen.

Keyserling selbst, der an Syphilis erkrankte, unter schweren körperlichen Beschwerden litt und schließlich erblindete, wurde allerdings wohl weniger beneidet als verehrt. Zu seinen Bewunderern zählten Rainer Maria Rilke und Thomas Mann, der ebenfalls Nietzscheaner war und ein nicht minder versierter Psychologe und Ästhet.

Menschliche Größe versus Kleinlichkeit

In Keyserlings betörend stimmungsvollen Erzählungen und Romanen, die sich in „Landpartie“ und „Feiertagskinder“ finden, den ersten beiden Bänden der Werkausgabe, spiegeln sich all diese schriftstellerischen Tugenden. Sein wohl berühmtester Roman „Wellen“ kreist nicht zuletzt um das Thema Neid: Eine „feine Gesellschaft“ verbringt die Sommerfrische in einem Ostseebad, doch wird die schwüle Strand-Idylle bald getrübt. In einer Fischerhütte lebt die Gräfin Doralice mit dem Maler Hans Grill, für den sie sich von ihrem Mann trennte, um ein neues Leben anzufangen. Natürlich gönnt man ihr diese Freiheit nicht. Doralice wird ignoriert, geächtet, zur Persona non grata gemacht – menschliche Größe versus Kleinlichkeit, das ist zusammengefasst ein Leitmotiv, das sich durch das gesamte Werk des Grafen zieht.

Die Figur des Malers, mehr noch die Gabe, den Strand, das Meer und die Wellen mit impressionistischer Plastizität darzustellen, verweist auf einen weniger bekannten Aspekt in seinem Schaffen. Keyserling war ein großer Feuilletonist und ein umfassend gebildeter Kunstliebhaber und -kritiker, und zwar ein wacher, Neuem gegenüber stets aufgeschlossener, wie seine Eindrücke von den Ausstellungen der Münchner Secession, Versuche über Dürers Holzschnitte oder Tizians „Himmlische und irdische Liebe“ oder die Würdigungen von Zeitgenossen wie Carl Strathmann, Alfred Kubin oder des frühen Kandinsky zeigen. Dabei verfährt er rhetorisch versiert, aber frei von jenem Zynismus, ein ästhetisches Urteil nach Belieben in sein Gegenteil zu verkehren.

Neben den Feuilletons, diversen Briefen und einer umfassenden Chronik, enthält der Band farbige Bildtafeln in den Texten erwähnter Kunstwerke. Abgedruckt ist auch Lovis Corinths Porträt des Grafen. Im Kommentar Keyserlings spiegelt sich einmal mehr sein Humor: „Es mag, trotz der Brutalität, die drinsteckt, gut jemalt seein, und gut unterhalten hat er mich dabeei. So aussehn aber möcht ich lieber nich.“

„Laß Neid und Mißgunst sich verzehren / Das Gute werden sie nicht wehren“, heißt es in einem Goethe-Gedicht. Möglich, dass Keyserling die Verse kannte. Wenn er sich verzehrt haben sollte, dann jedenfalls nicht durch Neid und Missgunst. Und sein strahlendes Werk ist uns geblieben.

Tobias Schwartz

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