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Kultur: Nein zur Gewalt

Krankenwagen, Verletzte, Militär, Demonstranten.In grellen Farben, durch Überblendungen verzerrt, zucken die Bilder über den Monitor.

Krankenwagen, Verletzte, Militär, Demonstranten.In grellen Farben, durch Überblendungen verzerrt, zucken die Bilder über den Monitor.Ausschnitte aus israelischen Nachrichtensendungen haben die Videokünstler Galit Eilat und Mosh Keinar montiert, Terror und Leid durch Verfremdung aus der zum Alltag gewordenen Berichterstattung herausgehoben.Der Musiker Dror Feiler setzt Komemiyut, den israelischen Unabhängigkeitskrieg, mit der Intifada gleich: "they are the same", bevor er mit dem Saxophon Töne wie Schreie vor einer brutal donnernden Computer-Klangwand ausstößt.Maschinengewehrsalven und Flugzeuggeschwader meint man zu hören."Dissect Me" - zerlege mich - heißt ein Stück der Musikerin Meira Asher, das mit Alarmsirenen beginnt und den Opfern der Intifada gewidmet ist.

Gewalt ist vorherrschendes Thema in den Werken neuer Kultur aus Israel, die das Podewil unter dem hebräischen Titel Oi-Wa-Woi noch bis zum Sonntag zeigt.Ins Englische übersetzt heißt das so viel wie "o no", erklärt Arik Hayut.Der 1965 in Israel geborene Musiker ist seit April 1997 Gast am Podewil und maßgeblich für die Konzeption des Festivals verantwortlich.

Der in der Videokompilation "Fractions" (Bruchteile) enthaltene Film von Yael Feldman zeigt den Schoß einer Frau, die auf einem weißen Tuch Erdbeeren drapiert.Eine Anspielung auf die religiöse Vorstellung der körperlichen Unreinheit der Frau während der Menstruation in Stilleben von luzider Schönheit.Viele Stücke von Meira Asher - sie ist zur Eröffnung von Oi-Wa-Woi aufgetreten - basieren auf Gebeten und Psalmen, die mit brutal direkten Sätzen einer Sprache der "four letter words" gemischt sind.Themen der Musikerin sind Inzest, Aids, Folter und weibliche Sexualität.Auch Arik Hayut, der elektronische Musik macht, verwendet Samples aus Bibelzitaten.Eine Provokation sieht er darin nicht, dazu werde die alternative Kultur in Israel zu wenig wahrgenommen.Eher eine persönliche Auseinandersetzung mit der Kraft religiöser Texte.

Der in Berlin lebende Gitarrist und Sänger Leonid Soybelman benutzt musikalische Traditionen, um diese zu zerhacken, zu beschleunigen, ins Extrem zu treiben.Er wird am Sonntag zusammen mit dem Performance-Duo Al Kuds auftreten.Deren Show Polipopipop zeichnet laut Pressetext "das Portrait des neuen israelischen Juden: vulgär, ignorant, und ein begeisterter Fan des israelischen Apartheid-Regimes".Das offizielle Israel ist nicht zu Gast im Podewil.

Neben dem israelisch-palästinensischen Konflikt wird auch der Holocaust thematisiert.Doch eher am Rande.Arie Shapira, einer der renommiertesten Komponisten Israels, wird über Text und Arrangement sprechen.Unter anderem anhand des sogenannten "Kastner-Prozesses", in dem auch die Frage der Kollaboration mit den Nazis verhandelt wurde.Die Installation von Nir Rackotch zeigt ein Gemälde, auf dem ein junger Mann mit herausforderndem Blick und gepiercter Augenbraue zu sehen ist, den "Judenstern" auf der Brust.Hinter ihm biegen sich die Häuser.Der expressionistische Hintergrund ist unspezifisch, könnte Berlin sein.Gegenüber derselbe junge Mann, "Jude" steht auf seinem Hemd.Den Ghettoblaster auf der Schulter, geht er eine Treppe hinauf, auf einen eisernen Torbogen zu."1948 1998" steht dort, wo in Auschwitz "Arbeit macht frei" stand.

Das Verdienst der Reihe im Podewil ist, etwas, das naheliegend sein könnte, in breiterem Umfang offensichtlich zu machen: Gegenwartskunst aus Israel dreht sich nicht vor allem um den Holocaust, um Kulturformen, deren Auslöschung in Deutschland systematisch betrieben wurde.Und doch zeigen im Gespräch mit Hayut zwei Bemerkungen, warum die deutsche Beziehung zu Israel von der Judenvernichtung nicht abzulösen ist.Kürzlich, so erzählt er, habe er zwei junge Männer gesehen, die vor der Synagoge in der Oranienburger Straße den Arm zum Hitlergruß hoben.Geschwister von Arik Hayuts Großeltern wurden im Konzentrationslager ermordet.Und als das Wort Gewalt fällt, erinnert er sich, daß seine Großmutter nie "Oi-Wa-Woi" gesagt habe, um etwas Negatives zu bezeichnen.Sondern immer - ohne daß ihm Bedeutung oder Herkunft des hebräisch-deutschen Ausrufs bewußt gewesen seien - "Oi-Gewalt".

Podewil, noch bis Sonntag; Abendveranstaltungen Tanz & Performance, Experimentelle Elektronik, Audio & Video & Party, Tel.: 247 49 777

STEFANIE DÖRRE

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