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Sängerin Neneh Cherry.

©  Fredrik Skogkvist

Neneh Cherry: „Hip-Hop ist der Punk von heute“: Neneh Cherry im Interview

Comeback: Die schwedische Sängerin Neneh Cherry über Freiheit, Furchtlosigkeit, Miley Cyrus und "Blank Project", ihr erstes Soloalbum seit 18 Jahren.

Miss Cherry, Sie hatten eine Zeit lang Probleme mit dem Songschreiben. Warum hat es jetzt wieder geklappt?

Mich hat der Tod meiner Mutter motiviert, auch wenn das komisch klingt. Natürlich war es eine große Tragödie, aber durch dieses Ereignis habe ich erkannt, wie wichtig es ist, im Hier und Jetzt zu leben und den Moment zu nutzen. Es ist sehr leicht, Sachen auf den nächsten Tag zu verschieben. Plötzlich hatte ich aber das Gefühl, sofort aktiv werden zu müssen. Der Punkt, an dem ich heute stehe, hat aber auch viel mit den Erfahrungen zu tun, die ich durch die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern sammeln konnte.

Zum Beispiel mit dem Jazztrio The Thing, mit dem Sie Stücke gecovert und zwei eigene Songs für ein Album aufgenommen haben. Was hat das ausgelöst?
Ich erinnere mich noch gut an meine Stimmung, kurz bevor es losging. Das erste Stück war „Too Tough To Die“ von Martina Topley-Bird. Ich fühlte mich, als wäre ich von einem Trampolin in die Luft katapultiert worden und würde in dem kurzen Moment der Schwerelosigkeit, bevor man wieder nach unten fällt, auf einen großen Swimmingpool hinabschauen. Dann begann die Band zu spielen. Ich spürte, wie sie mir den Rücken stärkte und mich nach vorne stieß. In dem Moment fiel ich hinunter und begann zu fliegen. Ich fühlte diese Vitalität und das riesige Sicherheitsnetz, das die Band für mich aufspannte.

Durch die Hilfe anderer Musiker konnten Sie wieder alleine im Rampenlicht stehen?
Mich bestärkte diese Erfahrung darin, wieder Risiken einzugehen. Ich war zuvor immer vorsichtiger geworden und dachte viel zu viel über alles nach: „Wie wird das jetzt wohl klingen? Sind die Stücke gut genug? Bin ich gut genug?“ Ich empfand eine permanente Anspannung. Die Arbeit mit The Thing war von Furchtlosigkeit geprägt. Ich konnte einfach machen, was ich wollte. Das war der Anfangspunkt meiner persönlichen Befreiung. Ich konnte mich wieder darauf besinnen, wo ich eigentlich herkam.

Sie meinen jetzt aber nicht die Mainstream- Popmusik?
Ich hoffe natürlich, dass ich noch immer etwas in der Popmusik darstelle. Aber „Blank Project“ ist bestimmt kein Popalbum für die Massen. Es ist ein experimentelles Album mit Popelementen. Natürlich befinde ich mich nicht mehr in der Mühle des Mainstreams. Es ist ein sehr zeitaufwendiger Job, neben dem Musikmachen auch noch überall präsent und angesagt zu sein.

Sie werden demnächst 50 und haben Familie. Darf man im Pop älter werden?
Sicher gibt es Leute, die auch mit 50, 60 oder 70 noch Popstars sind. Aber für mich ist das ein Ort, der cool ist, wenn man zwischen 18 und 25 ist. Unglücklicherweise spielt in dieser Welt das Älterwerden eine riesige Rolle. Das ist wirklich eine Schande, denn auch das Vergehen und der Verfall können von Schönheit begleitet sein. Dieser Prozess ist nicht ausschließlich mit dem Auseinanderfallen und Zerbrechen eines Menschen gleichzusetzen. Natürlich werden meine Augen schlechter. Ich brauche eine Lesebrille. Mein Körper ist nicht mehr der eines Kükens. Aber der natürliche Prozess des Vergehens ist wie ein Souvenir deines Lebens.

Vermissen Sie die Zeit Ende der Achtziger, als Sie mit Hits wie „Buffalo Stance“ in den Charts waren und überall erkannt wurden?
Nein, ich habe ja meine Erinnerungen. Aber ich bin nicht so nostalgisch veranlagt, dass ich mich dorthin zurückwünsche. Wenn mir etwas fehlt, dann sind es die Menschen, die nicht mehr da sind. Ich habe neulich den Film „Dallas Buyers Club“ mit Matthew McConaughey gesehen. Er spielt einen Rodeo-Cowboy, der ein großer Macho ist und dann Aids bekommt. Der Film ist zeitlich genau in der Ära angesiedelt, in der ich erfolgreich war. Bei dem Gedanken an all die Menschen, die wir damals verloren haben, wurde ich sehr traurig.

Sie waren als 16-Jährige Mitglied der feministischen Punkband The Slits. In den vergangenen Jahren wirken weibliche Stars wie Lady Gaga oder Adele selbstbestimmter. Und dann kommt Miley Cyrus ...
Es ist nicht leicht, im Showbusiness aufzuwachsen. Sie ist beim Disney-Channel groß geworden. Und dann stellen die Medien es so dar, als wäre es ein unglaublich „gefährlicher“ und „radikaler“ Imagewandel mit all den Piercings, Tattoos und dem Twerking. Tut mir leid, aber egal wie viel Aufmerksamkeit sie damit bekommt – ich finde es ziemlich lahm. Mein Cousin meinte neulich zu mir: „Es gibt so viele schwarze Mädchen, die das Twerking echt beherrschen, aber die werden es ganz sicher niemals in eine Nachrichtensendung schaffen.“ Dieser Style ist beim besten Willen nicht neu. Es braucht aber ein weißes Mädchen vom Disney-Channel, damit die Welt darauf aufmerksam wird.

Als Sie in den Achtzigern Punkmusik gemacht haben, konnte man damit noch provozieren. Heute geht das kaum mehr, oder?
Bei Punk ging es um Wut und darum, seinem Ärger Luft zu machen, was eine sehr gute Sache war. Für mich stand diese Punk-Mentalität aber nie für Tod und Zerstörung, sondern für die Idee, dass absolut alles möglich ist. Es geht darum, Risiken einzugehen und militant zu sein. Dieser militante Aspekt mag mittlerweile in den Hintergrund getreten sein, aber Autarkie und DIY sind immer noch wichtig.

Das findet man heute eher wieder im Hip-Hop.

Hip-Hop hat diese Haltung übernommen und möglicherweise ist Hip-Hop daher auch der neue Punk. Vielleicht ist Punk aber auch zu einer grundlegenden Philosophie geworden und nicht mehr dieses konkrete Ding, das es bei seiner Geburt war. Für mich gibt es eine starke Verbindung zwischen Stilen wie Bebop, Jazz, Punk und Hip-Hop. Ich finde es traurig, wenn Leute sich an ein Regelwerk klammern, nach dem Motto: Als Punk musst du einen Iro tragen und Klebstoff schnüffeln. Das ist definitiv tot.

Das Gespräch führte Dennis Kastrup. „Blank Project“ erscheint am 28.3. auf Smalltown Supersound.

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