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Anna Netrebko und Placido Domingo bei den Salzburger Festspielen.

© dpa

Netrebko und Domingo bei den Salzburger Festspielen: Alt ist wieder modisch

Hier Eventklassik mit Anna Netrebko und Placico Domingo, dort inspirierendes Off-Theater: Die Salzburger Festspiele haben zwei Gesichter. Unser Autor hat beide gesehen.

„Ehre sei Gott in der Höhe der Preise!“, ätzte Karl Kraus schon kurz nach Festspielgründung in Richtung Salzburg. Das teuerste Festival der Welt sind die sommerlichen Promiwochen bis heute, für Verdis „Il trovatore“ mit Anna Netrebko und Placido Domingo in den Hauptrollen sind bis zu 420 Euro pro Ticket zu zahlen. Dafür gibt’s dann aber auch die Wiener Philharmoniker samt Staatsopernchor. Kein Wunder, dass selbst bei der Nachmittagsvorstellung am Dienstag im Großen Festspielhaus die glanzvollste Abendgarderobe zur Schau gestellt wird.

Es geht aber auch anders: Im „Republic“, einem ehemaligen Kino, kosten die Karten selbst zur Premiere nur 42 Euro. Der damalige Schauspielchef Jürgen Flimm hatte 2002 die Idee, das Hochglanzprogramm durch ein „Young Directors Projekt“ zu kontrapunktieren. Weil das Kuratorium dafür kein Geld herausrücken wollte, sprang Montblanc als Sponsor ein. 51 Produktionen aus 23 Ländern konnten seitdem eingeladen werden.

Darunter auch Trouvaillen wie die „Orpheus“-Show des 2008 gegründeten Little Bulb Theatre. Acht Schauspieler, die zugleich Musiker sind, verlegen den Mythos von der Höllenfahrt des Harfensängers in ein Pariser Kabarett der 30er Jahre. Heraus kommt eine melodramatische „Extravaganza“, bei der mit feinstem britischen Humor alle erdenklichen Genres durcheinanderschießen: Da gibt es Antiken-Parodien und Ballett-Verballhornungen, eingeblendete Texttafeln erklären die Handlung wie im Stummfilm, Django Reinhardt wird zu Orpheus und eine hibbelige Chansonette zu seiner Euridice. Unterweltgott Hades singt mit Countertenorstimme, die als Furien, Waldtiere oder Klischeefranzosen verkleideten Darsteller streuen immer wieder eine Piaf-Nummer ein, eine Arie aus Monteverdis „Orfeo“ oder eine Nummer aus Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“. Mit Geige, Kontrabass, Akkordeon, Schlagzeug, Flöte, Gitarre, Klarinette und Klavier jazzen sie los – oder stimmen Bach und Debussy an.

Ein hinreißendes, zwischen Pathos und Selbstironie changierendes Spektakel, bei dem man sich nicht sicher sein kann, ob die mit Dirndl und Kunstpelz-Stola zurechtgemachte Fürstin Gloria von Thurn und Taxis zum Publikum gehört oder vielleicht doch zur Inszenierung.

Alvis Hermanis, der altmodischste Regisseur des 21. Jahrhunderts

Auch Alvis Hermanis, Regisseur des so glamourös besetzten „Trovatore“, hat seine ersten Salzburg-Erfahrungen einst beim „Young Directors Project“ gesammelt. Jetzt darf er bereits zum dritten Mal eine Prestigeproduktion im Großen Festspielhaus realisieren – und findet als sein eigener Bühnenbildner einen genialen Kniff, um dem versammelten Geldadel eine ultrakonventionelle Kostümorgie bieten zu können. Er verlegt die Handlung des Verdi-Hits in ein Museum. Renaissance hängt an den Wänden, weil ja auch die Oper im 15. Jahrhundert spielt. Statt seinen Kumpanen am Lagerfeuer erzählt Riccardo Zanellato als Ferrando nun einer Touristengruppe die Vorgeschichte der Handlung, anhand von Beispielbildern. Anna Netrebko ist eine Aufseherin, die sich in die Welt des altspanischen Adels träumt. Und – schwupps! – wird Nachtwächter Placido Domingo zum Conte di Luna, biegt Francesco Meli im wallenden Rittergewand als Manrico um die Ecke (Kostüme: Eva Dessecker).

Ab jetzt darf Opas Oper gespielt werden, mit rudernden Armen und gezückten Schwertern. „Ich habe ja einen Traum“, erklärte Alvis Hermanis den „Salzburger Nachrichten“. „Ich möchte der altmodischste Regisseur des 21. Jahrhunderts werden.“ Damit meint er sein Bestreben, Klassiker überzeugend zu inszenieren, ohne sie zwanghaft ins Heute zu zerren. Die Frage sei, „wie man historische Kontexte im Einzelfall rehabilitiert“. Vorerst bleibt Hermanis da noch einiges an Gedankenarbeit zu leisten.

Eine immer dramatischere Anna Netrebko und ein unverwüstlicher Placido Domingo

Immerhin wird es ein Fest der Stimmen. Eine pure Freude, mitzuerleben, wie sich Anna Netrebkos Stimme derzeit entwickelt, hin zu immer dramatischeren Rollen, zum Spinto-Fach. Und es ist natürlich immer faszinierend, den unverwüstlichen Placido Domingo live zu erleben, seine Bühnenpräsenz, die Selbstverständlichkeit, mit der er nun Baritonrollen singt, ohne sich klanglich zu verstellen. Francesco Meli hat es schwer neben ihm, zumal sein Tenor längst nicht so reich an Farben ist wie der Domingos. Aber er führt ihn natürlich, ohne Stimmprotzerei, ganz Belcanto-Idealen verpflichtet. Auch dass die Azucena der Marie-Nicole Lemieux nichts Dämonisches hat, sondern einfach eine liebende Mutter sein will, passt zum Klangkonzept von Dirigent Daniele Gatti. Der nämlich sucht mit den Wiener Philharmonikern in diesem grellen Stück stets nach verschatteten Momenten, nach Inseln der Intimität.

Die Hälfte aller Salzburger Tickets kosten weniger als 50 Euro, wie die Festspielleitung gerne betont. Bei Eventproduktionen wie dem „Trovatore“ sind das zwar nur ganz wenige ganz hinten im Saal. Doch es gibt ja nicht nur die drei Prachtspielstätten in der Hofstallgasse. Viele Weltklassekünstler treten auch im Neorokoko-Landestheater auf, in den Art- déco-Sälen des Mozarteums, in barocken Kirchen oder draußen vor der Stadt, auf der Perner-Insel. Und es geht noch günstiger: Wer sowieso wenig Wert darauf legt, in den extrem engen Sitzreihen des Großen Festspielhauses eingeklemmt zwischen übergewichtigen Wirtschaftsbossen zu schwitzen, schaut sich einfach am Freitag die „Trovatore“-Aufzeichnung auf Arte an.

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