zum Hauptinhalt

Kultur: Nette Nazis

Jerry Seinfeld war lange vor allem der Name eines in den achziger Jahre noch jungen, aber erfolgreichen New Yorker Kabarettisten.Heute ist Jerry Seinfeld der Name der beliebtesten Reihe im US-Fernsehen.

Jerry Seinfeld war lange vor allem der Name eines in den achziger Jahre noch jungen, aber erfolgreichen New Yorker Kabarettisten.Heute ist Jerry Seinfeld der Name der beliebtesten Reihe im US-Fernsehen.Fast neun Jahre lang lief "Seinfeld", brach Quotenrekorde und brachte Kritiker zum Jubeln - und ins Grübeln.Seinfeld, die Person, wurde mit TV-Preisen überschüttet für "Jerry Seinfeld", die "Sitcom", die "Situations-Komödie".Jetzt lief die letzte "Seinfeld"-Folge.Jerry Seinfeld hatte genug, ihm gingen allmählich die Ideen aus, auch wenn der Sender NBC ihm fünf Millionen Dollar pro zusätzliche Folge geboten haben soll."Seinfeld" war ein Produkt und ein Spiegel der 90er Jahre, die Begegnung des US-Publikums mit einer Art Vulgär-Postmoderne.Die Schauspieler spielten sich selbst, wozu noch zwischen Rolle und Mime trennen? Strukturierende Inhalte, stete Arbeitsplätze und zwischenmenschliche Beziehungen waren flüchtig, verheiratet war niemand, Anliegen hatte auch keiner, Politik kam nur als Jux vor."Seinfeld" handelte von einem jungen Kabarettisten aus New York namens Seinfeld, seinen Freunden und Nachbarn."Seinfeld" spielte die Realität idealer Patchwork-Identitäten durch.Und was kann man in Deutschland von Seinfeld lernen? Wenn Deutsche heutzutage Amerika bereisen, fällt wahrscheinlich die wieder gestiegene Häufigkeit der Verwendung des Wortes "Nazi" auf.Auch das stammt von Seinfeld.Um die Ecke von der Film-Wohnung des Stars liegt ein Imbiß.Dort kocht und serviert ein griesgrämiger Mann südeuropäisch-nahöstlicher Herkunft.Er geht doktrinär und pedantisch mit seinen Produkten um, unter anderem einer von Herrn Seinfeld goutierten Suppe.Kritik duldet er nicht, Fehler bei der Zubereitung sind ausgeschlossen, Mengenzuteilungen bestimmt allein der Chef, wer meckert, kriegt sein Geld zurück, aber keine Suppe.Der Serien-Version dieses Mannes, der in der Realität ein erbitterter Seinfeld-Hasser geworden ist, heftete das Drehbuch das Etikett "Suppen-Nazi" an.Seitdem ist das Anhängsel "-Nazi" im US-Sprachgebrauch zum kontextenthobenen Universalstempel für jemanden geworden, der einfach recht überzeugt ist von sich, seinen eigenen Taten und Produkten, und der aus Inbrunst mögliche Alternativen oder Konkurrenten für minderwertig erklärt und bei alledem eher kauzig und fast liebenswürdig denn ernsthaft gefährlich ist."Nazi" sagen und dazu lachen können - das hat das deutsch-amerikanische Verhältnis Jerry Seinfeld zu verdanken.Postmoderne eben.Jetzt ist die Serie zwar vorbei, aber "-Nazi" als Kosename wird überleben.Was ist dagegen schon ein Luftbrücken-Jubiläum! rvr

Zur Startseite