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Frühromantische Welterfahrung. Der Dichter Robert Kelly.

© digitalcommons.bard.edu

Netzverlag: An den Ufern des Metambesen

Der amerikanische Dichter Robert Kelly und seine Frau Charlotte Mandell haben im Netz einen Verlag gegründet. Kleiner Blick auf das Gratisangebot von Metambesen.

Von Gregor Dotzauer

Warum die Menschen den Unaussprechlichen im Himmel nicht mehr sehen, soll der Rabbi einmal gefragt worden sein. Und er antwortete: Weil sie beim Gehen nicht mehr zu Boden schauen. Der amerikanische Dichter Robert Kelly, der die Aufforderung, Dinge nicht unbedingt dort zu suchen, wo man sie vermutet, im Vorwort zu dem Fotoband „Reflets dans l’eau“ seiner Frau Charlotte Mandell zitiert, hat leicht reden: Vom Glitzern des kleinen Stroms in Upstate New York, an dessen Ufern er ein Haus bewohnt, muss man den Blick wohl regelrecht losreißen.

Leicht macht es sich Kelly trotzdem nicht. Denn er verknüpft das Offensichtliche auf der Stelle mit dem Unscheinbaren, der vom Austrocknen bedrohten Regenpfütze, die „in ihren Tiefen den ganzen Himmel darüber enthält, den edlen Anker der Bäume, der sich zu uns nach oben ausstreckt“. Dabei will er von Tiefe gar nichts wissen. „Das Bild“, schreibt er, „ist ganz Oberfläche – auf der Oberfläche. Wenn wir wie Narziss durch die Oberfläche zum Bild selbst vordringen wollen, finden wir nichts als Drecksuppe, Schotter, Schlamm.“ Das kann man ruhig als poetologische Auskunft eines Mannes lesen, der zusammen mit Jerome Rothenberg und Clayton Eshleman einst die symbolistisch geprägte Schule des „Deep Image“ begründete und heute längst über allen ihren Wassern schwebt.

Die Indianer hatten für Kellys und Mandells heimatlichen Fluss, der die Taghanic Hills zum Hudson River hinabfließt, noch das schöne Wort Metambesen. Auf den Landkarten trägt er heute den martialisch anmutenden Namen Saw Kill. So nennt man natürlich keinen Verlag, jedenfalls keinen, der sich wie metambesen.org ganz der Lyrik, der Fotografie und der Bildenden Kunst verschrieben hat. „Exploring the flanges of words“ lautet sein Motto, nach einem Eintrag in den Tagebüchern von Walt Whitman aus dem Jahr 1855. Inmitten einer frühromantisch durchdrungenen Welterfahrung, die nach dem Heiligen im Gewöhnlichen, einer „sacredness of ordinary things“, sucht, wie es im Vorspruch zu Kellys „I Tarocchi Nuovi“ heißt, steckt darin auch ein Bewusstsein vom Handwerklich-Konstruktiven einer Kunst, die den Flanschen, den geheimnisvollen Verbindungsteilen zwischen den Wörtern, nachspürt.

Charisma und Großzügigkeit

Fast 50 zumeist schmale Titel hat das Paar bisher herausgebracht – alle zum Gratis-Download im PDF-Format. Den größten Umfang hat die über 200-seitige „Festschrift“, die vor zwei Jahren, zum 80. Geburtstag von „Bard’s bard“ entstand, dem Barden des Bard College in Annandale-on-Hudson, wo er noch immer eine Professur für Literatur hat und ein digitales Archiv seine jüngeren Texte sammelt (digitalcommons.bard.edu/rk_manuscripts). Die „Festschrift“ vermittelt einen lebendigen Eindruck von dem, was so viele in den Bann von Kellys Charisma und Großzügigkeit gezogen hat.

Mit „Eaux Metambesen!“ findet sich eine weitere fotografische Hommage von Charlotte Mandell an die Spaziergänge vor der Haustür. Sie, im Hauptberuf Übersetzerin, die unter anderem Maurice Blanchot ins Englische gebracht hat, darf sich zugutehalten, ihrem Freund, dem luxemburgisch-amerikanischen Lyriker Pierre Joris dessen frühes „Book of Foxes“ abgehandelt zu haben. Dazu kommen Chapbooks von Dichterschülern wie dem ungarischstämmigen Tamas Panitz – und ein ganzer Katalog von Texten aus der Werkstatt des unermüdlichen Robert Kelly selbst.

Der Mann mit dem imposanten weißen Schnauzer und den noch imposanteren Augenbrauen ist ein Genie der Freundschaft, weshalb das Familienprojekt im Nu einen erstaunlich weiten Wahlverwandtschaftenradius angenommen hat. In deutscher Sprache, zu der Kelly ein inniges Verhältnis besitzt, ist zuletzt Urs Engelers Übersetzung des psychoanalytisch inspirierten Stimmengeflechts „The Language of Eden“ (Die Sprache von Eden) bei roughbooks.ch erschienen. Ein weiterer überraschender Zugang zu einem Werk, das vom Gedanken einer alles durchwirkenden Universalpoesie zusammengehalten wird. Oder wie es in seinem Gedicht „Science“ heißt: „Science is the same as poetry / only it uses the wrong words.“

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