zum Hauptinhalt
Abscheuliche Außenseiter. Die Jugendlichen werden von einer geheimnisvollen Seuche befallen die ihre Körper verändert und entstellt.

© promo

Neuauflage: Krankheit der Jugend

Charles Burns’ Coming-of-Age-Parabel „Black Hole“ gehört zu den wichtigsten Comics der vergangenen Jahre. Jetzt erscheint das Opus Magnum des gefeierten Illustrators erstmals als Sammelband auf Deutsch.

Wer Glück hat, bekommt nur etwas Ausschlag, vielleicht ein paar Beulen auf der Brust. Aber auch die lassen sich noch unter Kleidern verstecken, wie Schwimmhäute an den Händen oder kleine Schwänzchen am Po. Im schlimmsten Fall aber entstellt die sexuell übertragbare „Teenager-Pest“ Gesichter zu grausamen Fratzen.

Woher die Krankheit kommt, die in Charles Burns’ „Black Hole“ die Jugend einer Vorstadt von Seattle befällt, bleibt ungeklärt. Eines Tages Anfang der Siebziger war sie da, irgendwann verschwand sie wieder. „Mann, die Hälfte meiner Freunde ist daran verreckt. Ich hätte nie gedacht, dass ich aus der ganzen Scheiße je wieder rauskomme … Aber eines Tages begannen die Dinger in meinem Gesicht zu verheilen, und ein paar Monate später war ich ganz gesund und hab mit all den Scheißnormalos rumgehangen wie früher“, erzählt der Autor im Vorwort. Und tatsächlich steckt in dem Werk, an dem der 1955 geborene Burns von 1993 bis 2004 schrieb, wahrscheinlich mehr Biografie, als der fantastisch klingende Plot zunächst glauben lassen möchte.

Wenig verklausuliert symbolisiert die Seuche die Pubertät. Die sich verwandelnden Körper, die erwachende Sexualität, das Gefühl der Andersartigkeit und Unverstandenheit spiegelt sich in den Metamorphosen der vier infizierten Protagonisten Chris, Rob, Keith und Eliza, die lieber in die Isolation eines Waldcamps, des Drogenrauschs oder die Einsamkeit der Zweisamkeit flüchten, als weiter in der Welt ihrer Eltern zu leben, mit der sie nichts zu verbinden scheint.

Viel mehr passiert nicht auf den mehr als 350 Seiten des Buchs, das im Original in zwölf Einzelbänden erschien, die jetzt erstmals gesammelt auf Deutsch aufgelegt wurden. Die Figuren haben Sex, träumen von der Zukunft, machen Pläne, durchleben Halluzinationen. Irgendwo spukt noch ein Killer durch den Wald, aber das bleibt nebensächlich. Mit einer rasanten Geschichte haben wir es hier wahrlich nicht zu tun. Dass Burns trotzdem nicht langweilt, liegt an der unheimlichen und bedrohlichen Stimmung, die der als Illustrator gefeierte Autor mit seinen scharf kontrastierten, detailverliebten Schwarz-Weiß-Bildern kreiert. Grundlage seiner Zeichnungen sind häufig Zitate klassischer Horrorcomics und Settings: die Waldlichtung, die Biologiestunde, der See, der Wald, die Zombiefratze, die er dann aber mit Freud'scher Zeichensprache auflädt. Wie Burns Wunden zu Vaginas und Bettpfosten zu Phalli verwandelt, wie er Körper und Natur, Traum und Realität verschmilzt, das hat eine solch verstörende Wirkung wie sonst höchstens die über die Metamorphose des Fleisches philosophierenden Filme des Regisseurs David Cronenberg.

Der Blick, den Burns zurück in das schwarze Loch des Erwachsenwerdens wirft, ist trotzdem kein angeekelter, kein moralischer – es ist ein wehmütiger. Weil jene Zeit, so trostlos sie gewesen sein mag, doch die Seligkeit eines ersten Aufbruchs und ein Gemeinschaftsgefühl kannte, die unwiederbringlich verloren sind: „Wir dachten, dass es niemals enden würde, dass aus einem so guten Gefühl niemals ein schlechtes werden könnte. Aber es geschah. Eines Tages war es einfach weg. Wir wachten auf, sahen uns an, und es war vorbei.“ Nur die Narben sind geblieben.

Charles Burns: Black Hole. Reprodukt, Berlin 2011. 368 Seiten, 24 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false