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Die deutsche Band The Jeremy Days.

© Dirk Darmstaedter/Louis C. Oberlander

Neue Alben von Jeremy Days und Placebo: Ein Koffer voller Sterne

Die Rockbands The Jeremy Days und Placebo bringen zeitgleich Comeback-Alben heraus. Mal mit erstaunlich schwungvollem, mal mit sehr solidem Resultat.

Es gibt diesen einen Song auf „Beauty In Broken“, da kriegen The Jeremy Days einen. Ein paar Töne vom Klavier und vom Keyboard, die sich Zeit lassen, zu verhallen. Ein dezenter Beat, der stoisch voranschreitet, wie jemand, der nach einer langen Nacht die Terrassentür öffnet und ein paar Schritte in das taubenetzte Gras wagt. Dann erhebt Dirk Darmstädter die Stimme, erzählt von der Schönheit, die ihn umgibt, von Lebenstrunkenheit und davon, wie wunderbar die Dinge brennen würden.

Er spricht das eher, als dass er singt. Erstaunen tropft aus seiner Stimme, bevor der Refrain von „Postcards“ dann doch die große Melodie sucht. Irgendwann erzählt Darmstädter von einem Koffer volle Sterne. Ganz schön kitschig, aber irgendwie ist das vollkommen egal: „Can you see and feel it now?“, fragt er, die Antwort ist ein beherztes „Ja!“

Geschickt mischten die Jeremy Days amerikanische Folkeinflüsse und britische Pop-Manierismen

Das erste Album von The Jeremy Days erschien 1989. Es warf mit „Brand New Toy“ einen Song ab, der knapp an den Top Ten vorbeischrammte, der Schreiber dieser Zeilen, damals elfjährig, kaufte sich für sechs Mark die Single und turnte zu diesen vier perfekten Minuten durch das Kinderzimmer; der Popsong hat auch nach 33 Jahren nichts von seiner Magie verloren. Ein paar weitere Alben der Hamburger Band folgten; das letzte 1995, irgendwann Mitte der Neunziger versickerte sie.

Dirk Darmstädter spielte in Musicals mit, gründete mit Gunther Buskies die Plattenfirma Tapete Records (1000 Robota, Die Höchste Eisenbahn, Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen), veröffentlichte zahlreiche Alben mit dem Projekt Me & Cassity, als Solokünstler und gemeinsam mit Bernd Begemann. Die Leitplanken dieser Musik blieben dabei die der frühen Jahre.

Man hörte einerseits den Folk und den Country Nordamerikas. Aber der wurde immer einer Oberflächenbehandlung unterzogen, mit blitzgescheiten Pop-Manierismen angereichert, die dezidiert britisch wirkten, an Paddy McAloon von Prefab Sprout, Loyd Cole oder Stephen Duffy erinnerten. Die Band rief er gelegentlich für Auftritte zusammen, um ab 2019 wieder auf eine reguläre Konzertreise zu gehen.

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„Beauty In Broken“ (Circushead Records), das dieses Comeback nun in Albumform gießt und am Freitag erscheint, klingt ziemlich genau so, wie man sich ein The-Jeremy-Days-Album vorstellt, wenn man Darmstädters Solo-Arbeiten kennt. Es besitzt aber einen Sog, den diese nur selten erreichten.

Die Binse von der Summe, die aus mehr als ihren einzelnen Teilen besteht, trifft zu, der Erfahrungsschatz, den die anderen Mitglieder über die Dekaden ansammelten, als Schauspieler und Fotograf in Los Angeles (Keyboarder Louis C. Oberländer), als musikalischer Leiter bei Theaterproduktionen mit Herbert Grönemeyer und Rufus Wainwright (Drummer Stefan Rager) oder als Produzent von Künstler:innen wie BAP und Annett Louisan (Gitarrist Jörn Heilbut) prägt dieses Album ebenfalls. Im Ergebnis bedeutet das: Nach über 30 Jahren spielen The Jeremy Days einen souveränen Poprock, der meist kernig-analog anmutet, seine klassische Instrumentierung aber nie zum Dogma erklärt und sein Augenmerk immer auf die weltumarmende Melodie legt.

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Über die Liebe wird natürlich anders gesungen als anno 1989: Wo sich Darmstädter in „Brand New Toy“ noch die Augen rieb ob dieses Wunderwesens, das da in sein Leben und sein Bett gekommen war, singt er in „Lassos Of Love“ in der Vergangenheitsform. Der Klang der Band passt sich dem an. 2022 schätzen The Jeremy Days immer noch die große Geste, aber das arg Ambitionierte ist 27 Jahre später endgültig verschwunden.

Schon richtig so. Popbands altern in etwa so schnell wie Hunde. Die Negierung dieses Altersprozesses nervt, zumal die Fans ja mitaltern. Die wollen auf Konzerten die alten Hits hören. Und natürlich wollen sie, dass neue Songs daran anschließen. Sie wünschen sich das, was man auf Englisch einen Trip Down Memory Lane nennt, ein musikalisches „Weißt du noch“. Diesen Wunsch zu erfüllen und gleichzeitig originell zu agieren, gelingt The Jeremy Days schon sehr gut.

Stefan Olsdal und Brian Molko (rechts) sind Placebo.
Stefan Olsdal und Brian Molko (rechts) sind Placebo.

© Mads Perch

Licht und Schatten hingegen beim zeitgleichen Comeback einer der größten britischen Rockbands der Neunziger und Frühnullerjahre. Wenn wir bei den Hundejahren bleiben, könnte man sagen: Placebo sind ziemlich genau eine Generation jünger als die Hamburger, ihr Werk aber umfangreicher: Sieben Alben veröffentlichte die Band um Brian Molko zwischen 1996 und 2013, nach „Loud Like Love“ war 2013 erst einmal Schluss.

Die Musik der Briten war in ihren Anfangsjahren mit Molkos stets angespannter Kreissägenstimme und dem Wechsel zwischen Brachialkrach und ausgefeilten Arrangements ein valider Gegenentwurf zum behäbig gewordenen Britpop. Doch rasch wandelten sich Placebo zu einer kommerziell sehr erfolgreichen, aber leider auch etwas langweiligen Rockband.

Dass jetzt, neun Jahre später, doch mit „Never Let Me Go“ (So) noch einmal ein Studioalbum erscheint, war nach dem Schrumpfen der Band zum Duo nicht unbedingt zu erwarten: Drummer Steve Forrest verließ Placebo 2015, Molko steht nur noch sein Bassist Stefan Olsdal zur Seite. Am Sound der Band verändert das nicht viel. Zwar kann man dem Album ein Bemühen attestieren, in ungewohnte Gefilde wie etwa Kammerpop vorzuwagen.

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Doch in erster Linie schreiten die Musiker durch altbekannte Gitarrenwelten; sauber produziert sind die, immer die richtige Balance zwischen klassischem Indiepop und Alternative-Rock haltend und stets ein Auge Richtung Wave und Industrial werfend. Manchmal geht das glänzend auf, „Beautiful James“ etwa überführt Gitarren-Gedengel und eine einfache Keyboardmelodie in eine sauber ausgearbeitete starke Stadion-Hymne.

Das folgende „Hugz“ ist im Prinzip um eine Zeile gebaut: „A hug ist just another way of hiding your face“ lauten die Worte, von denen aus Molko smart allerhand Identitätskrisen durchdekliniert. An anderen Stellen bleibt das Album aber zu ungefähr, ist ordentlich inszeniert, ohne wirklich zu berühren oder gar zu überraschen.

Andererseits: Muss es das? Molko erwarb sich seine Verdienste mit den ersten beiden Alben und einem Habitus, der all dem entgegenstand, was damals in der britischen Popkultur angesagt war. Dem von Oasis über Damien Hirst bis hin zu Tony Blair reichenden Männerbund schleuderte er ein Pop-Verständnis entgegen, das immer auch androgyn ist, das Oberflächen schafft, auf denen sich die Träume der Outcasts, der Unverstandenen spiegeln.

„Ich wollte, dass jeder, der ein bisschen homophob ist, zu unseren Konzerten kommt und denkt: ,Oh, die Sängerin gefällt mir’“, sagte er einmal in einem Interview und fügte hinzu: „Nur um später herauszufinden, dass der Sänger Brian heißt, was ihn hoffentlich dazu bringt, nach Hause zu gehen und sich selbst ein paar Fragen zu stellen.“ Insofern ist die Bestandsverwaltung, die Placebo mit diesem Album betreiben, völlig in Ordnung.

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