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Der Letzte. Kriegseinsätze wie gegen Gaddafi wird es nur noch selten geben.Foto: Reuters

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Kultur: Neue Bescheidenheit

Weltpolitik auf Sicht: Parag Khanna und Joseph Nye suchen nach Strategien für den Westen in der neuen Weltordnung

Der Westen ist beinahe pleite. Nicht in den Augen seiner Politik – sie will es nicht zugeben. Aber in den Augen der Wirtschaft – die jüngsten Bewegungen auf den Kapitalmärkten und Bewertungen der Rating-Agenturen sprechen hier eine unmissverständliche Sprache. Denn jede Familie und jedes Unternehmen, das so gewirtschaftet hätte wie die westlichen Staaten in den letzten Jahrzehnten, müsste Insolvenz anmelden. Die Politik sieht sich gezwungen, zu reagieren. Sparhaushalte werden aufgelegt, Budgets zusammengestrichen. Hatten die Europäer nach dem Ende des Kalten Krieges bereits ihre Friedensdividenden kassiert und ihre Verteidigungsausgaben deutlich zurückgefahren, will Amerika seine nicht zuletzt durch die Kriege am Golf und in Afghanistan explodierten Militärkosten um rund 850 Milliarden Dollar senken. Das hat strategische Konsequenzen: Ein weiterer „War of Choice“ wie im Irak oder in Libyen wird unwahrscheinlicher. Neue Wege, den eigenen politischen Willen und entsprechende Ordnungsvorstellungen durchzusetzen, sind gefragt. Denn die Kosten der alten Strategien sind ruinös – sowohl im menschlichen wie im wirtschaftlichen Sinne.

Hier setzen zwei der profiliertesten Denker der Vereinigten Staaten an. Parag Khanna wurde 2008 international bekannt mit seinem hellsichtigen Werk „Der Kampf um die Zweite Welt“, für das er eine Weltreise unternahm, um das amerikanische Ausland für seine geopolitischen Analysen zu erforschen. Zurückgekehrt war der Mitarbeiter des Weltwirtschaftsforums in Davos und des Washingtoner Think Tanks „New America Foundation“ vor allem mit einer Erkenntnis über die USA selbst: Dass seine Heimat eine Art Marshall-Plan benötigt, um ein Land der Ersten Welt bleiben zu können.

War bereits „Der Kampf um die Zweite Welt“ von einem überaus realistischen Blick auf die heutigen globalen Verhältnisse in Politik und Wirtschaft geprägt, meidet Khanna erneut bewusst einen missionarischen Tonfall. Aufrufe – wie oft am Ende von westlichen Analysen der neuen Weltordnung – zu mehr Rationalität, Kreativität, gesundem Menschenverstand, Großzügigkeit, Freundlichkeit, Kosmopolitismus, Demokratie oder Humanismus und vor allem zur Gründung neuer Superorganisationen, die diese Werte zur Geltung bringen sollen, finden sich bei Khanna nicht. Auch die beliebten Debatten, ob die Vereinigten Staaten auch im 21. Jahrhundert eine weltweite Führungsrolle übernehmen können oder ob dies überhaupt eine einzelne Macht kann, gehen nach seinen Studien an der globalen Wirklichkeit vorbei.

Stattdessen plädiert Khanna für eine Regionalisierung globaler Politikgestaltung. Denn obwohl zentrale Mechanismen derzeit nicht mehr als Katalysatoren des menschlichen Fortschritts fungieren, macht die Menschheit dennoch Fortschritte: Zwar steckt die WTO in einer Sackgasse, aber der Welthandel wird von Akteuren an der Spitze wie am Fuß der weltwirtschaftlichen Nahrungspyramide weitergeführt. Zwar hat der Kopenhagener Prozess für das Klima nichts erreicht, aber die Hersteller umweltfreundlicher Technologien preschen unerschrocken mit Innovationen voran. Zwar wird der UN-Sicherheitsrat vielleicht nie reformiert werden, aber regionale Organisationen nutzen ihren Spielraum.

Besonders deutlich werden die Erfolge einer solchen Regionalisierung in Somalia, wo Amisom, die Friedenstruppe der Afrikanischen Union, in jüngster Zeit bedeutende Fortschritte im Kampf gegen die islamistische Al-Shabbab-Miliz erzielt hat. Doch bisher leiden Missionen wie die der AU an einer vollkommen unzureichenden Finanzierung. Daher hält Khanna es für sinnvoller, die über acht Milliarden Dollar, die jährlich für die meist wenig effektiven UN-Operationen ausgegeben werden, für den Aufbau lokaler, multinationaler Streitkräfte zu verwenden, die von regionalen Organisationen geführt werden.

In regionalen und nicht in globalen Friedenstruppen sieht Khanna zu Recht die Zukunft der Konfliktbeilegung. Durch mehr finanzielle, militärische und logistische Unterstützung regionaler Partner für Friedensoperationen können die strategisch überdehnten Vereinigten Staaten, Nato und EU die Last solcher Einsätze für sich selbst verringern und zugleich die regionalen Fähigkeiten zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung stärken, zumal regionale Streitkräfte sich in den Gegebenheiten vor Ort in der Regel besser auskennen und mehr Legitimität und Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung genießen.

Das Debakel der direkten Militärintervention von UN und westlichen Staaten in Somalia in den 90er Jahren hat gezeigt, wie wenig klassische militärische Stärke in asymmetrischen Konflikten auszurichten vermag, wenn sie nicht von einem intelligenten Umgang mit politischen Interessen und Kulturen begleitet wird. Diese Erkenntnis hat Joseph Nye bereits in seinen Bestsellern „Das Paradox der amerikanischen Macht“ (2003) und „Soft Power“ (2004) auf den Punkt gebracht. Nun entwickelt der in Harvard lehrende Politologe die von ihm propagierte Politik der „Soft Power“ – der Kunst, andere durch kulturelle Anziehungskraft und wirtschaftliche Anreize wollen zu lassen, was man selbst will – weiter zur „Smart Power“ für das globale Informationszeitalter des 21. Jahrhunderts.

Was macht diese „intelligente Macht“ heute aus? Als ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister unter Clinton weiß Nye um die Grenzen selbst der größten Militärmacht der Welt. Barack Obama kennt sie auch: In seiner Antrittsrede erklärte er: „Frühere Generationen von Amerikanern wussten, dass unsere Macht durch ihre kluge Anwendung wächst, dass sich unsere Sicherheit aus der Gerechtigkeit unserer Sache ableitet, aus der Kraft unseres Beispiels, der mäßigenden Wirkung von Bescheidenheit und Zurückhaltung.“ Bereits 2007 hatte Verteidigungsminister Robert Gates seine eigene Regierung ermahnt, mehr Geld und Energie für Instrumente intelligenter Machtausübung aufzuwenden: Diplomatie, Wirtschaftshilfe, Kommunikations- und Verkehrsmittel. Zu dieser nach der Bush-Ära wiederentdeckten Strategie der USA, die bereits mithalf, den Kalten Krieg zu gewinnen, liefert Nye nun den politikwissenschaftlichen Überbau. Selten dürften sich die Politologie und die Realität ihres Gegenstands so nah gewesen sein.

Parag Khanna: Wie man die Welt regiert. Eine neue Diplomatie in Zeiten der Verunsicherung. Berlin Verlag, Berlin 2011. 334 Seiten, 26 Euro.

Joseph Nye: Macht im 21. Jahrhundert. Politische Strategien für ein neues Zeitalter. Siedler Verlag, München 2011. 384 Seiten, 24,99 Euro.

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