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Martin Böttcher, Berliner DJ und Musikjournalist.

© Frauke Fischer

Neue Elektro-Tipps aus Berlin: Von der Vorhölle zur Freiheit

In unserer Serie "Spreelectro" stellt der DJ und Musikjournalist Martin Böttcher Gutes aus der Hauptstadt vor. Diesmal mit Paul van Dyk, Pilocka Krach und Lars Wickinger.

Paul van Dyk – The Politis of Dancing 3 (Label: Ultra Music)

Zwischen Paul van Dyk und mir läuft es nicht so gut. Er mag mich nicht mehr, seit ich mich mal etwas ausführlicher über seine Musik und seine Unterstützung für den Radiosender „Sunshine Live“ geäußert habe. Ich halte ihn nach wie vor für einen sympathischen Typen, der, wie wir alle, gute und schlechte Seiten hat. Zu den schlechten gehört vor allem seine Musik. „The Politics of Dancing 3“ heißt die neue Platte von Matthias Paul (das ist PvD bürgerlicher Name) und sie ist eine solide Trance-Platte geworden. Womit wir auch schon gleich beim Problem sind: Trance ist die Musik, mit der Paul van Dyk groß geworden ist und die ihm ein sehr, sehr gutes Auskommen beschert hat. Die Internetplattform Celebritynetworth.com  schätzt, dass der in Eisenhüttenstadt geborene DJ und Produzent im Lauf seiner Karriere 60 Millionen Dollar verdient hat. Trance ist aber auch die Musik, die für eine kurze Zeit Anfang der 90er-Jahre neu und interessant war und danach in ihre Formelhaftigkeit erstarrt ist. Belanglose Beats, immer gleicher Aufbau, billig anmutende Melodien, kitschiger Gesang, all das kommt im Trance seit zwei Jahrzehnten in immer neuen, aber nie neu wirkenden Tracks zusammen. Paul van Dyk ist das Aushängeschild dieses Stillstands, seine neue Platte hat sich nicht einen Zentimeter weiter bewegt.  Da er eigentlich ein heller Kopf ist, wird er wissen, warum er nicht mal etwas Neues versucht, ich vermute, es hat etwas mit „die Kuh melken, solange sie noch Milch gibt“ zu tun. Aber wenn man mal das Geld beiseite lässt, dann kommt es mir so vor, als befände er sich als DJ und als Künstler in der musikalischen Vorhölle, Groundhog Day lässt grüßen! Wobei: Künstler ist jetzt sicherlich zu hoch gegriffen. Kunst hat schließlich mit Wagemut, mit Innovation, mit Gefahr und Ideen zu tun. Davon  ist auf „The Politics of Dancing 3“ nichts zu merken. Von Politik natürlich auch nicht, aber das ist eine andere Geschichte.

Pilocka Krach – Best of (Monika Enterprise)

Die elektronische Tanzmusik hat schon immer mit Sex zu tun gehabt. Deshalb wird es jetzt hoffentlich niemanden mehr schocken, dass man auf dem Debütalbum der Berliner Musikerin Pilocka Krach einen halbdurchsichtigen Slip, zwei Hände und jede Menge dunkle Schamhaare sieht. Ihre? Vermutlich. Aber wen kümmert’s? Viel wichtiger ist schließlich die Musik dieser technoiden Pippi Langstrumpf, Songs, die in den letzten fünf, sechs Jahren entstanden sind und jetzt das erste Mal als Album zusammenfinden. Vielleicht erst einmal aufgezählt, was diese Musik alles NICHT ist: Sie ist nicht sanft, sie ist nicht glatt, sie ist nicht langweilig. Aber sie ist sehr, sehr unterhaltsam, lebendig, durchgeknallt und irgendwie anders. Sagen wir’s mal so: Menschen, die ihr Leben bis zur Pension durchgeplant haben, sind bei Paul van Dyk vielleicht besser aufgehoben. Aber wer noch einen Funken Freiheitsliebe und Abenteuerlust in sich verspürt, könnte sich für die Bar-25-erprobte Pilocka Krach erwärmen. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.

Lars Wickinger – The Unknown Side Of The Moon (So What Music)

Machen wir uns nichts vor: Techno ist ein Genre, das einen schon manchmal am Sinn des Albumformat zweifeln lässt, es geht bei dieser Musik schließlich vor allem ums Tanzen. Und dazu braucht es den guten Einzeltrack, der mit vielen anderen guten Einzeltracks vom DJ zu einem nicht enden wollenden Klangteppich verwoben wird. Trotzdem: immer dann, wenn es ein Produzent schafft, mit einem Gefühl, mit einer ganz bestimmten Atmosphäre ein ganzes Album zu durchdringen, dann darf man begeistert sein. Der Berliner DJ und Produzent Lars Wickinger hat genau das auf seinem ersten Langspieler getan. Die „Unknown side of the moon“, die unbekannte Seite des Mondes, ist ja auch die „dunkle Seite“ – und dunkel geht es hier zu. Dunkel und gefühlvoll, warm und nicht ganz so glatt poliert. Das Ganze endet mit „For My Mom“ – ein Stück, das Lars Wickinger für seine an Krebs gestorbene Mutter geschrieben hat. Techno ohne großen Firlefanz, ohne Kitsch, aber nicht ohne Emotionen.

DJ und Musikjournalist Martin Böttcher stellt in unserer Serie "Spreelectro" Gutes aus der Hauptstadt vor.

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