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Kultur: Neue Familienpolitik: Kein Kinderspiel

In einen Nachsatz hatte Gerhard Schröder seine Erkenntnis verpackt. Er trete "für die Erweiterung des Familienbegriffs" ein.

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In einen Nachsatz hatte Gerhard Schröder seine Erkenntnis verpackt. Er trete "für die Erweiterung des Familienbegriffs" ein. "Familie ist da, wo Kinder sind", sagte der Kanzler am Sonntag im Tagesspiegel-Interview. Und dann: "Ob da auch ein Trauschein ist oder nicht, ist eine andere Frage."

Kündigt der SPD-Vorsitzende die Entkoppelung der Familienförderung vom grundgesetzlich fixierten Schutz der Ehe an? Dass für die Familien mehr getan werden muss, ist parteipolitischer Konsens. "Nein, ich bin überhaupt nicht zufrieden", antwortet der Kanzler auf die Frage, ob denn ausreiche, was bislang geleistet wurde. Auch CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer hat gerade bekannt, er sei "überhaupt nicht zufrieden" mit dem, was die Union in 16 Regierungsjahren für die Familien getan habe.

Die Familie ist also in. Was konkrete Instrumente angeht, bleibt indes vieles vage - und vor allem unfinanziert. Was die Theorie angeht, sind sich die Volksparteien dagegen weitgehend einig.

Wenn der Kanzler seinen Begriff von Familie an das Vorhandensein von Kindern bindet und die Ehe dabei außen vor lässt, so entspricht dies sogar auch der offiziellen CDU-Sprachregelung. Im Dezember 1999 beschloss die Merkel-Partei unter dem damaligen Parteichef Wolfgang Schäuble eine siebenzeilige Definition, die mit dem Satz beginnt: "Familie ist überall dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung tragen." Es folgen die möglichen Varianten: "Ehepaare mit ehelichen, nichtehelichen, adoptierten oder mit Pflegekindern", Alleinerziehende mit oder ohne Partner, nichteheliche Lebensgemeinschaften mit gemeinsamen Kindern. Erst in der nächsten ihrer Leitideen bekräftigt die CDU, "die auf Dauer angelegte Ehe" sei "die beste Grundlage" für die dauerhafte Verantwortungsgemeinschaft.

"Alleinerziehende mit Lebenspartner" - das kann auch ein lesbisches oder schwules Paar sein. Dass die CDU diese Möglichkeit ein wenig versteckt ausdrückt, trifft auf den Zorn der zuständigen Lobby. Am Dienstag kritisierte der Lesben- und Schwulenverband, Angela Merkel diskriminiere Familien mit homosexuellen Eltern, die CDU/CSU führe gegen sie "einen Kreuzzug".

Der weitgehenden Einigkeit bei der Definition moderner Familien-Möglichkeiten steht der Parteienstreit gegenüber, welche Förderung angemessen sei. Am Mittwoch wurde das Papier eines 19-köpfigen Wissenschaftler-Beirats bekannt, der dem Familienministerium nach zehnjährigem Detailstudium eine politische 180-GradWendung empfiehlt. In Westdeutschland koste ein Kind bis zur Volljährigkeit 716 000 Mark, im Osten 551 000 Mark, stellen die Wissenschaftler fest. Und raten: Das Existenzminimum für Kinder solle komplett von der Steuer freigestellt werden. Hinzu kommen müsse ein einkommensabhängiges Kinderfördergeld. Bislang herrsche in der Familienpolitik "relative Konzeptionslosigkeit und Diskontinuität", rügt der Beirat.

Die Grünen fordern seit langem und ziemlich aussichtslos eine Umwandlung des Ehegatten-Splittings in ein FamilienSplitting. Wahrscheinlicher als eine Abschaffung des Ehegatten-Splittings ist die Ausweitung von steuerlichen Abzugsmöglichkeiten auf nicht Verheiratete. Als "Scheindiskussion" bewerten Experten des Bundes der Steuerzahler die Debatte um das Ehegatten-Splitting, das vom Volumen her ohnedies an Bedeutung verliert.

Mitte der 90er Jahre sparten Deutschlands Ehepaare noch 30 Milliarden Mark jährlich durch die gemeinsame Veranlagung. "Auf Grund der Steuerreform nimmt jetzt der maximal mögliche Spareffekt rapide ab", sagt Volker Stern vom Wiesbadener KarlBräuer-Institut, einer Forschungseinrichtung, die dem Bund der Steuerzahler angeschlossen ist. 1999 war für ein Ehepaar mit einem Spitzenverdiener noch ein maximaler Splitting-Vorteil von 22 886 Mark möglich. 2005 werden es nur noch 15 489 Mark sein. Es gibt 12,4 Millionen Ehepaare, aber nur 10,5 Millionen Einzelveranlagte.

Die Union verfolgt seit längerem eine Idee, die unter der Überschrift "Familiengeld" läuft. CDU und CSU plädieren dafür, alle familienpolitischen Leistungen vom Kindergeld bis hin zu Steuervorteilen zusammenzufassen und die Summe kräftig aufzustocken. Pro Kind 1200 Mark - dieser Betrag, ursprünglich von der CSU ins Spiel gebracht, ist inzwischen Beschlusslage der gesamten Union. Die Mehrkosten pro Jahr beziffert Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) auf rund sechs Milliarden Mark. Wo das Geld herkommen soll - bei dieser Frage macht die Union gerne vom Privileg jeder Opposition Gebrauch, im Detail eher unscharf zu bleiben.

Praktische Familienpolitik kann freilich an vielen Punkten ansetzen. Vor allem bei der indirekten Entlastung von Eltern zeichnet sich inzwischen ein überparteilicher Konsens ab: Es muss mehr Betreuungsmöglichkeiten gerade für kleine Kinder geben, damit ihre Mütter - dass es die Väter trifft, ist nach wie vor selten - nicht vor die leidige Wahl "Familie oder Beruf" gestellt werden. Der Trend zeigte sich im Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz: Das einzige konkrete Versprechen des Wahlsiegers Kurt Beck (SPD) war, die Quote der Ganztagsschulen auf 20 Prozent anzuheben.

Beck wurde klar in seinem Amt bestätigt. So ist die Familienpolitik im weitesten Sinne noch gut für viele Wahlkämpfe. GrünenChef Fritz Kuhn hat gerade eine "Offensive für mehr Kinderfreundlichkeit" angekündigt; innerparteilich wird über einen Mehrwertsteuer-Abschlag für Kinderbedarf debattiert. Und selbst in der CSU heißt das Motto längst nicht mehr "Küche, Kinder, Kirche", sondern "Kinder und Karriere".

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