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Neue Gedichte von Adam Zagajewski: Staunen in Krakau

Neue Gedichte des Polen Adam Zagajewski.

Jedes einzelne von Adam Zagajewskis Gedichten entwirft eine Welt im Kleinen. Da sind Straßen im Sommer, von Bäumen gesäumt, die Erinnerungen an Kindheit heraufbeschwören oder an einen Krieg, den man nurmehr aus Bildern kennt; da ist eine kleine Epiphanie, er nennt es „Vita contemplativa“, auf der Berliner Museumsinsel oder im Zug nach Warschau unterwegs. Da gibt es Mauersegler vor der romanischen Katharinenkirche, die für Aufschwung – Euphoria – in den Gedanken sorgen. Und da strömen die Flüsse Rhône und Garonne dahin, und eine orthodoxe Liturgie vermittelt auch dem Agnostiker, dass Reden über Gott seit jeher ins Gedicht gehört: „Die Stimme des einen Solisten erinnert an die Aussprache / Joseph Brodskys, der seine außergewöhnlichen Gedichte / vor amerikanischem Publikum las, das keineswegs / an die Möglichkeit der Himmelfahrt glaubte, / doch glücklich schien, dass ein anderer daran glaubt.“

Zagajewski flaniert in Versen wie diesen durch die vergangenheitsträchtigen Viertel seiner Heimatstadt Krakau. Zugleich ist er dabei immer an allen möglichen anderen Orten: in Amerika, Frankreich, in Deutschland, Berlin immer wieder, bei Versen von Czeslaw Milosz, Brodsky oder Tadeusz Rozewicz, seinem verstorbenen deutschen Übersetzer Henryk Bereska, bei seinem Vater im Gleiwitz und Lemberg der Vor- und Nachkriegszeit – und immer wieder bei den griechischen Philosophen, deren Zeitgenosse er gern gewesen wäre.

Fast möchte man sagen: Mit diesen Gedichten wird man zum Zeitgenossen der antiken Denker und Sänger, ohne dabei die Gegenwart verlassen zu müssen. Zagajewski gelingt es mit spielender Eleganz, Brücken zwischen den Zeiten und Räumen zu schlagen. Das sind Verse, mit denen er uns das Staunen neu beibringt. Warum es sich also lohnt, Zagajewskis Gedichte zu lesen? In ihnen nimmt, was unentwegt in unseren Tagträumen flottiert , konkrete Gestalt an und oszilliert wie schwingende „Antennen“ (ein gleichnamiges Langgedicht) an einem windblauen Vormittag: „Der Moment der Stille in der U-Bahn-Station in Berlin nach der / Ankündigung ‚zurückbleiben’ – das Nichts ist zu hören. / Die Mauersegler in Krakau, entzückt vom Sommer, pfeifen laut. / Das müde Verb kehrt nachts ins Wörterbuch zurück.“ Jan Röhnert

Adam Zagajewski: Unsichtbare Hand.

Gedichte. Aus dem

Polnischen von Renate Schmidgall. Hanser, München 2012.

128 Seiten, 14,90 €.

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