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Dauertanz von West nach Ost. Der graue Satellit und der blaue Planet.

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Neue Gedichte von Durs Grünbein: Gammler des Universums

Nach dem Traum vom Weltall: In seinem Gedichtband „Cyrano oder Die Rückkehr vom Mond“ begibt sich Büchner-Preisträger Durs Grünbein auf die Spuren des imaginären Mondreisenden Cyrano de Bergerac

Von Gregor Dotzauer

Der Mond ist ein seltsam Ding. Seit Menschengedenken wacht er über Schlaf, Träume und Gezeiten. Er gibt uns irdische Sehnsüchte ein, die über sich hinaus gelangen wollen, und er ist selbst Gegenstand eines himmlischen Fernwehs, dessen Abenteuer uns umso weniger locken, je erreichbarer die Raumfahrt sie gemacht hat. Doch so verbraucht er als Symbol inzwischen ist und so geheimnislos als Gestirn – er gehört zum unauslöschlichen Inventar, innerlich wie äußerlich.

Darin ist Durs Grünbein ganz Romantiker. Im Motto seines neuen Gedichtbands „Cyrano oder Die Rückkehr vom Mond“ fragt er denn auch mit Novalis: „Wir träumen von Reisen durch das Weltall. Ist denn das Weltall nicht in uns?“ Es sind die Worte, die 1798 in den „Blüthenstaub“-Fragmenten einen Kernsatz der deutschen Frühromantik einleiten: „Nach innen geht der geheimnisvolle Weg.“ Das Werk, auf das sich Grünbein vor allem bezieht, ist allerdings noch rund 150 Jahre älter.

„Die Reise zum Mond“ des Voraufklärers Savinien Cyrano de Bergerac, 1657 postum erschienen, gilt als einer der ersten Science-Fiction-Romane der Weltliteratur – und hat sein Pendant in einem ebenso legendären Sonnenroman. Grünbeins Tribut an die Gegenwart liegt in einer Art Nachruf auf die bemannte Mondfahrt – auch wenn Indien und China derzeit neue Expeditionen planen. Die Lehre, die die Menschheit aus dem Aufbruch der Amerikaner zog, dürften sie nicht in Zweifel ziehen. Eugene Cerman, 1972 Kommandant der letzten Apollo-Mission, resümierte nach seiner Rückkehr: „Wir brachen auf, um den Mond zu erkunden, aber tatsächlich entdeckten wir die Erde.“ Das ist nicht weit entfernt von dem, was Cyrano einst imaginierte – die Erleichterung, auch wieder zurückkehren zu dürfen. In dieser Trias, die sich an der Umkehrung des Sehnsuchtsblicks versucht, sind Grünbeins 84 Gedichte quer durch die Kulturen und deren Bildspeicher angesiedelt. Selbst die unbewohnbarste Erde, suggerieren sie, ist wohnlicher als der Mond.

„Nachts aber strahlen die Städte“ versprechen etwa die Verse von „Tacchini“. „Ein geiles Glitzern / Dringt aus den Ballungszentren durch die Sphären, / Dass die Sterne verblassen, der Mond ergraut. // Sie nennen es Lichtschmutz, und meinen den Dunst, / Der die Erde umschleiert. Von ihrer Raumstation / Schaut die Crew voller Wehmut herab auf das Fest. // Weithin sind die Urstromtäler erhellt, elektrifiziert / Die Küsten, in den Wüsten die Casino-Oasen. / Tritt ein, Cyrano, in den Kristallpalast Erde.“

Wie alle Gedichte ist es in freirhythmischen, mit Binnen- und gelegentlich Endreimen spielenden Terzinen abgefasst, die mit dem Namen von Mondkratern überschrieben sind und zumeist drei Strophen umfassen. Aufgeladen mit kulturhistorischen, technischen und ökologischen Motiven, kommen sie in der Summe aber nicht über virtuose Stilübungen hinaus. Denn sie verhalten sich zu dem nachgestellten Essay, der mit einem Spaziergang über das Tempelhofer Feld beginnt und mit Otto Lilienthals Absturz „auf den Schwingen der Transzendenz“ endet, um den Aufbruch in die Raumfahrtära zu markieren, wie die Illustration zum Programm. Die in Mehrdeutigkeit schillernde „Lyrische Libration“, die der Essay in Anspielung auf die lunare Libration, das eingebildete Taumeln des Mondes, im Titel beansprucht, lösen seine metaphorisch überreich orchestrierten Verse nicht ein.

Grünbein buchstabiert sich durch ein ganzes Lexikon der Sinnbilder. Der Mond ist für ihn „ein kalter Koloss“, „der goldne Thron“, „der Gammler des Universums“, „der treue Hund der Erde“, „der alte Pfannekuchen“, „der bleiche Unbekannte“, ein „fahles Monochrom“ oder „ein grauer Riesenpilz“. Er ist direkt aussprechbar, in seiner ganzen Pracht und seinem ganzen Elend – als hätte er seit Eichendorffs Tagen nicht an Strahlkraft eingebüßt. Der Bildungsfuror, mit dem Grünbein seine kulturelle tour d’horizon antritt, führt ihn gerade nicht dazu, die Erfahrung des Mondes zu historisieren.

Zwischen Tokio und Totem Meer, Gesualdos Gesängen und Adam Elsheimers gemalter „Flucht aus Ägypten“, leuchtet er intensiver denn je. Rolf Dieter Brinkmann, der leidenschaftlichste Mondpoet der jüngeren deutschen Lyrik, war in der Aufgabe, die romantische Naturerfahrung jenseits des platten Illusionsbruchs vom Himmel auf die Erde zu holen, mit Gedichten wie dem berühmten „Mondlicht in einem Baugerüst“ da schon einmal sehr viel weiter.

Durs Grünbein: Cyrano oder Die Rückkehr vom Mond. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 151 Seiten, 20 €.

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