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Kultur: Neue Helden

„Bitte gib mir nur ein Wort“ singt die Berliner Band Wir sind Helden. Von der Kraft der Worte kann man sich derzeit auch in den Berliner Galerien überzeugen.

„Bitte gib mir nur ein Wort“ singt die Berliner Band Wir sind Helden. Von der Kraft der Worte kann man sich derzeit auch in den Berliner Galerien überzeugen. Bei Crone Andreas Osarek (Kochstraße 60, bis 8. Dezember) etwa, wo der 1968 in Manchester geborene Mark Prince neue Gemälde zeigt. Kaum eines seiner Werke verzichtet auf Text. Zum Beispiel „Les disques du crépuscule“, was mit „Platten der Dämmerung“ nur sehr profan übersetzt klingt. Der Titel des sehr fein austarierten Acrylbildes aus dem Jahr 2004, der sich auf ein kleines Plattenlabel der englischen Post-Punk-Ära bezieht, ist in der Mitte des Gemäldes zu lesen. Mit seinen verhaltenen Grau- und Braunabstufungen wird es von einer sanften Melancholie umweht. Auf anderen Gemälden (2300 bis 3500 Euro) blitzen Wolkenformationen, Architektur- oder Designelemente und Textfragmente auf, die wie Erinnerungsfetzen erscheinen und vage Assoziationen an englische Landschaften hervorrufen. Aber immer bleiben sie im Ungefähren, sind mehr fühl- als festschreibar – wie gute Lyrik. Nur eben an der Wand.

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Während Prince’ Bilder an Herbstgedichte erinnern, setzt die 1947 geborene amerikanische Künstlerin Kay Rosen auf kluge Wortspiele. Da können Wish und Dish plötzlich ganz nah beieinander liegen und die große Wandarbeit Blurred setzt sich – keineswegs verwischt – aus dem in Blau geschriebenen blu , dem rot geschriebenem red und einem einzelnen, zunächst versteckten, R zusammen. Seit Ende der Sechzigerjahre beschäftigt sich die Künstlerin mit Schrift, realisierte performative Fotoarbeiten. Seit 1982 arbeitet sie ausschließlich mit Text. So auch in der Galerie Klosterfelde (Zimmerstraße 90/91, bis 23. Dezember), wo neben Blurred auch der Schriftzug PNUUMLDE zu lesen ist. Was zunächst nur als kryptische Buchstabenfolge erscheint, erschließt sich erst, wenn der Betrachter in einer Pendelbewegung die Buchstaben abwechselnd von hinten und vorne liest. Dann entsteht das Wort Pendulum. Die von der Künstlerin evozierte Anspielung auf den Bush-Clinton-Wechsel erscheint allerdings arg hintergründig. Die Anordnung der Bilder ist übrigens in alphabetischer Reihenfolge (Preise auf Anfrage).

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Noch einen Schritt weiter geht Tino Sehgal , der Deutschland in diesem Jahr auf der Biennale von Venedig vertreten hat und in Berlin zurzeit mit einer Arbeit in der Galerie Johnen zu erleben ist (Schillingstraße 31, bis 14. Januar). Darüber hinaus hat ihn der Kunstverein der Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf eingeladen, eine Jahresgabe beizusteuern. Anstelle einer sonst üblichen Edition verfasste der für seine nichtstofflichen Werke bekannte, 1976 geborene Künstler einen 300 Worte umfassenden Text, den außer ihm keiner kennt. Für 25 Euro sind die Worte von Mitgliedern des Kunstvereins nun einzeln zu erwerben. Spezielle Wünsche werden nicht berücksichtigt; man muss nehmen, was kommt. Aber welch’ eine wunderbare Vorstellung, dass sich eines Tages alle Wortinhaber treffen und den Text als ein von Sehgal dirigierten Chor aufsagen. Lieber Kunstverein, gib mir darauf doch dein Wort!

Katrin Wittneven

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